ABSCHIED UND ANKUNFT
Campo Grande, 20° südlicher Breite, 54° westlicher Länge. Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaates Mato Grosso do Sul. 19:30 Uhr Ortszeit. Was sind Monate der Theorie gegen eine knappe Woche Praxis?
Ist es möglich, in einer Hängematte liegend einen Laptop zu bedienen? Wer wollte behaupten, diese Frage theoretisch beantworten zu können? Ja, es geht. Diese Zeilen sind der Beweis dafür – schwarz auf weiß. Es kommt jedoch – wie so oft im Leben – auf die richtige Haltung an. (In diesem konkreten Fall gilt es,
Verspannungen im Nacken zu vermeiden.)
Brasilien also. Am vergangenen Mittwochvormittag trafen wir hier ein.
Die Tage davor waren sehr intensiv – in vielfacher Hinsicht. Die gewohnte Umgebung für ein Jahr hinter sich zu lassen ist ja schließlich kein alltäglicher Vorgang, für den man eine Checkliste mal eben griffbereit hat. Ja, früher, als Single, ohne Frau, Kinder und Hund. Da bin ich einmal, sogar zweimal gen Westen aufgebrochen. USA, Mittlerer Westen, University of Kansas.
Doch das Abenteuer mit dem Codenamen „BR-09/10“ ist von einer anderen Dimension. Erstens bin ich 20 Jahre älter. Das muss nicht von Nachteil sein. Schließlich habe ich viele Erfahrungen, die ich damals noch nicht hatte. Allen voran die Erfahrung, dass Geduld, Ausdauer und Vertrauen in mich selbst und die Menschen um mich herum vieles gelingen lassen.
Zweitens lassen wir allerhand zurück. Wir lassen unser Haus in Wiesloch zurück – wohlwissend, dass gute Freunde sich darum kümmern. Wir lassen gute Freunde zurück, wohlwissend, dass ein Jahr der Trennung einer Freundschaft nichts anhaben kann. Und wir lassen unsere gewohnte Umgebung zurück, wohlwissend, dass unser Leben in Wiesloch sehr angenehm, bequem, ruhig und im globalen Maßstab außerordentlich privilegiert ist – bzw. war.
Was hat uns also dazu bewogen, das Abenteuer „BR-09/10“ in Angriff zu nehmen? Erstens: Damals, als ich Oriana kennen und lieben lernte, hätte ich ihr nach Brasilien folgen können, tat es aber nicht. Seither verspürte ich immer wieder mal den Wunsch, Brasilien nicht nur in Urlaubsreisen kennenzulernen. Zweitens: Der Wunsch, unseren Kindern auch die andere Seite ihrer Herkunft samt Sprache näher zu bringen. (Ok – ich muss zugeben, dass auch in Bezug auf das Bayerische bei meinen Kindern noch Nachholbedarf besteht. Eins nach dem anderen…) Drittens: Der Drang nach Abenteuern, der ja bekanntlich vielen Bayern innewohnt.
Brasilien also.
Die ersten Tage hatten etwas von Camping-Atmosphäre. Das Haus, das wir gemietet haben, ist groß, mit viel Platz drinnen und draußen. Aufgrund des Klimas verbringt man sehr viel Zeit draußen – wie eben auch beim Camping. Gut, das Haus hat schon bessere Tage gesehen. Der Putz blättert an verschiedenen Stellen von den Wänden, Termiten haben die eine oder andere Bodenleiste pulverisiert, die weißen Türen waren schon mal weißer. Wenn die Einrichtung mal vervollständigt ist, gibt es jedoch viel Platz für uns und unsere Gäste.
Im Moment leben wir jedoch noch recht „japanisch“, wenngleich die Liste der bereits getätigten Ausgaben einen anderen Eindruck vermuten lässt. Ein leeres Haus zu füllen hat halt auch in Brasilien seinen Preis. Apropos Preise.
Vieles ist hier natürlich billiger als in Deutschland. Ein Küchentisch mit Granitplatte mit sechs Stühlen kostet R$ 730 = 270 EUR. 10 Brötchen („pão francês“) kosten ca. R$ 3 = 1,11 EUR. Unser Haus mit sechs Zimmern, großer Veranda, Swimming-Pool, das alles auf einem knapp 1000 qm großen Grundstück kostet R$ 1.300 = 480 EUR Miete pro Monat. Fast war ich versucht zu schreiben: „kalt“. Die Heizkosten sind hier natürlich sehr überschaubar, da gleich Null. Nebenkosten: Städtische Steuer, Strom, Wasser.
Andere Dinge sind ähnlich teuer wie in Deutschland. Eine Dose Qualitäts-Bier, 350 ml, kostet im Supermarkt aktuell R$ 1,05 = ca. 0,40 EUR. Benzin kostet aktuell R$ 2,70 = 1 EUR. An jeder braslianischen Tankstelle gibt es jedoch auch Alkohol zu Tanken. Produziert aus Zuckerrohr. Billiger, aber weniger ergiebig. Da muss man rechnen.
48 Stunden nach unserer Ankunft verfügten wir bereits über einen funktionierenden Telefonanschluss, einen DSL-Anschluss sowie ein Prepaid-Handy für unschlagbare R$ 69 = 25,50 EUR. Willkommen in der globalisierten Welt. Das war einfach.
DER ERSTE SCHULTAG
Entscheidend war der heutige Tag. Der erste Schultag unserer Kinder. Wie – Schule? Das Schuljahr beginnt auch hier am Ende des Sommers, also im Februar bzw. März. Jetzt, da wir daher kommen, beginnt also gerade das zweite Halbjahr. Ist halt so. Der Äquator macht den Unterschied. Unterrichtsbeginn ist 13:15 Uhr. Unterrichtet wird in zwei Schichten. Morgens gab es keinen Platz mehr. Also nachmittags. Hat verschiedene Vorteile. Beispiel: Bei abendlichen Unternehmungen müssen wir keine Rücksicht darauf nehmen, dass die Kinder früh aufstehen müssen.
Der erste Schultag also. Was soll ich sagen? Die Anspannung im Vorfeld war natürlich groß. Brasilien allgemein kennen meine Kinder ja. Unsere lieben Verwandten ebenfalls. Die große Unbekannte: Schule. Ich mach’s kurz: Ein voller Erfolg. Alle Mitschüler sind ebenso neugierig wie hilfsbereit. Erste Freundschaften wurden geschlossen. Das ist sehr gut.
Und siehe da – in der Klasse meines Sohnes befindet sich ein Cousin von ihm. Wenn das kein gutes Omen ist. Nun gibt es viele Schulen in dieser Stadt. Und in dieser Schule, mit insgesamt 3000 Schülerinnen und Schülern gibt es (mindestens) sieben neunte Klassen. Und dann einen Verwandten in der Klasse zu treffen, das ist schon allerhand. Gut, sie sind keine Cousins im strengen Sinne. Genau genommen ist es so, dass ihre Urgroßmütter Schwestern waren. Eine von beiden ist übrigens noch am Leben und – gemessen an ihren 92 Jahren – in sehr guter Verfassung. Wir konnten uns am vergangenen Sonntag davon überzeugen.
Die oben skizzierte Verwandtschaftsbeziehung würde man in Deutschland wohl als „Cousins 3. Grades“ bezeichnen. In Brasilien fragt niemand nach den Details.
Das gilt auch für die „angeheiratete Verwandtschaft“. Mit anderen Worten: Ich verfüge hier über eine Menge an Cousins, Cousinen, Onkeln und Tanten, von denen ich bislang nicht einmal die ungefähre Anzahl beziffern kann.
Insofern sind wir hier in ein dichtes familiäres Netzwerk hineingefallen – ein Umstand, der natürlich vieles erleichtert.
Fortsetzung folgt. Bis dahin: Tudo de bom para vocês.
Hallo ihr Lieben,wir haben uns sehr über eure ersten Eindrücke gefreut und sie mit Spannung gelesen.Wir freuen uns schon auf die Fortsetzung und wünschen Euch alles Liebe!
AntwortenLöschenViele Grüße aus Dudenhofen
Thomas und Familie
Hallo Hans und Familie,
AntwortenLöschenschön zu hören das es Euch allen gut geht. Das mit der Hängematte und Laptop hättest Du Dir Hans aber sparen können (ich sitze gerade im Keller und es regnet). Wir geht es denn Eurem Hund, von dem hast Du ja nich gar nicht geschrieben (HaHa :-))
Also Euch allen weiterhin viel Glück !
Gruss, Lars
Hallo Lars,
AntwortenLöschenach ja, der Hund. Dem geht es bestens. Hat bereits mit brasilianischen Zecken Bekanntschaft gemacht...
Gruß, Hans
Man merkt dass es Euch allen super geht. Ich freue mich zu sehen dass Ihr Euch soooo schnell eingelebt habt.
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Corbauma