Seit unserer Ankunft vor ca. drei Wochen fällt der erste Regen. In den Tagen davor war die Luft extrem trocken. So wird der Regen als Erleichterung empfunden. Bis zu jenem Moment, als unser Hund daher kommt und die feuchte rote Erde in großen tappsigen Flecken im gesamten Haus verteilt. Erinnerungen an Loriots „Frühstücksei“ werden wach. Keine Sorge – unser Hund namens „Lucky“ (Nomen est Omen!) erfreut nach wie vor bester Gesundheit. Er wird halt zeitweise einfach in den hinteren Teil des Anwesens verbannt – bislang ohne erkennbare negative Folgen.
Dass es in dieser Jahreszeit überhaupt regnet, gilt als außerordentlich ungewöhnlich. Einem Zeitungsbericht zufolge erleben wir gerade den regenreichsten August der letzten 40 Jahre. Und wenn es hier mal regnet, dann wird nicht gekleckert.
KELLERLOS
So wurde mir am vergangenen Mittwochabend schlagartig – oder sollte ich sagen: wolkenbruchartig – klar, warum brasilianische Häuser keinen Keller besitzen. An besagtem Abend machte ich mich - wie schon einige Male in den Tagen davor – auf den Weg zum „Estádio Belmar Fidalgo“, einer öffentlichen Lauf-, Walk- und Fitnessanlage – gut zwei Kilometer von unserem Haus entfernt. Die Laufbahn ist nicht einfach oval, so wie wir das vom Stadion der TSG Wiesloch und anderswo in Deutschland gewohnt sind, sondern gleicht mehr der Miniatur Formel-1-Rennstrecke. Immerhin, eine Runde ist 400 Meter lang. Ich drehte also dort meine Runden und machte mich nach getaner Laufarbeit wieder auf den Heimweg, als ein Unwetter losbrach. Nicht irgendein Unwetter. Ein brasilianisches Unwetter.
Unvorstellbare Wassermassen stürzten vom Himmel. Ich kam mir vor wie unter einem Wasserfall. Meine größte Sorge galt meiner Gleitsichtbrille, die der Regen mir von der Nase zu peitschen drohte.
In diesem Moment kam mir die Erkenntnis: Keine Kanalisation dieser Welt wäre in der Lage, solche gigantischen Wassermassen hinreichend schnell abzutransportieren, um zu verhindern, dass Hunderttausende Keller augenblicklich volllaufen. Und keine Feuerwehr dieser Welt könnte diese Hunderttausende von in der Folge vollgelaufenen Kellern in überschaubarer Zeit wieder leerpumpen. Da derartige Naturereignisse hier eher die Regel und nicht die Ausnahme sind, verzichtet man halt vernünftigerweise einfach auf den Keller. Thema erledigt.
ZURÜCK NACH 14 JAHREN
Meine Frau Oriana kehrt nach 14 Jahren zurück in ihr Heimatland Brasilien. 14 Jahre. Eine lange Zeit. Wer erinnert sich noch an 1995? Helmut Kohl war ein Jahr zuvor letztmalig wiedergewählt worden. Die Freihandelszone zwischen Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay tritt in Kraft. In Deutschland wird die Pflegeversicherung eingeführt. Das Schengener Abkommen tritt in Kraft. Der erste Castor-Behälter erreicht Gorleben. Deutschland und San Marino nehmen diplomatische Beziehungen auf. Christo und Jeanne-Claude verhüllen den Reichstag in Berlin. Osvaldo Pugliese, eine Ikone der argentinischen Tango-Musik, stirbt. Ebenso Michael Ende, Rory Gallagher, Wim Thoelke und Konrad Zuse.
Oriana ist also nach 14 Jahren wieder in Brasilien. Nun möchte sie hier auch wieder als Ärztin arbeiten. (Medizin ist kein Beruf, sondern eine Berufung.) Dazu ist es erforderlich, sich beim „Conselho Regional de Medicina (CRM)“, sagen wir mal: Landesärztekammer, zu registrieren.
Neben dem Nachweis der medizinischen Ausbildung ist eine Voraussetzung die Vorlage des „Título de Eleitor“. Das hat etwas mit „Wahl“ zu tun. In Brasilien herrscht Wahlpflicht. Wer nicht zur Wahl geht, kann verschiedene Unannehmlichkeiten bekommen. Bei verschiedenen Gelegenheiten muss man nachweisen, dass man seiner staatsbürgerlichen Pflicht nachgekommen ist. Etwa bei der Registrierung als Ärztin. Für die Nichtteilnahme an den diversen Wahlen während der letzten 14 Jahre musste Oriana eine (eher symbolische) Geldstrafe entrichten. Die eigentliche Registrierung kostet dagegen schon richtig Geld. Zu Geld und Preisen aber ein anderes Mal.
Falls also jemand von Euch zufällig vorhat, mal eben für ca. 14 Jahre das Land zu verlassen, überlegt es Euch gut. Nach dem Wiedereintritt in die heimische Atmosphäre gibt es allerhand Behördenkram zu erledigen.
MEINE NUMMER UND ICH
Auch ich habe einen weiteren Meilenstein, meine Integration betreffend, zu verbuchen: Ich verfüge über einen CPF: „Cadastro de Pessoa Física“. Das ist so eine Art GUID für Einwohner. (Für Nicht-SAPler: GUID ist ein Globally Unique Identifier.) Jeder Mensch, der (legal) in Brasilien lebt, besitzt oder bekommt eine solche 11-stellige Nummer. Also auch ich. Ohne einen CPF existiert man eigentlich gar nicht. Man braucht diese Nummer, um ein Bankkonto zu eröffnen, um Einkäufe in Raten zu zahlen (hierzulande sehr beliebt) und bei vielen anderen Gelegenheiten.
TRANSPARENZ
Das offizielle politische Brasilien war in dieser Woche beschäftigt mit dem „Fall Sarney“. José Sarney war einst Staatspräsident Brasiliens, also Vorgänger vom aktuellen Präsidenten Lula. (Der Präsident in Brasilien hat eine ähnliche Stellung wie der Präsident in den USA.) Im Moment hat Senhor Sarney das Amt des Senatspräsidenten inne. Und er verschaffte dem Freund (inzwischen Ex-Freund) seiner Enkelin einen Job in der Regierungsverwaltung. Das diesbezügliche Telefonat wurde „zufällig“ mitgeschnitten und veröffentlicht. Klarer Fall von Vetternwirtschaft („Nepotismo“) also.
Der Vorgang an sich ist nichts Neues. Allerdings gibt es zwei Unterschiede zu früher: Erstens gelangen solche Fälle nunmehr auch in Brasilien an die Öffentlichkeit. Und Transparenz ist bekanntlich eine wesentliche Voraussetzung für Veränderungen. Zweitens tut sich die sogenannte „Erste Welt“ zusehends schwerer, Länder der sog. „Dritten Welt“ als „Bananenrepubliken“ zu disqualifizieren (obwohl hier natürlich Bananen wachsen, siehe Beweisfoto aus unserem Garten) – angesichts von Korruptionsskandalen bei Siemens und anderswo, Kursmanipulationen bei VW-Porsche, Preisabsprachen in der Bau- und Mineralölindustrie etc. Willkommen in der globalisierten Welt. Der Fall Sarney wurde übrigens nach emotionaler Debatte in der Ethik-Kommission zu den Akten gelegt. Aber auch das wird sich ändern. Irgendwann einmal.
Und das allsonntägliche Churrasco-Erlebnis, an das wir uns bereits zu gewöhnen begannen? Fiel dieses Mal leider dem Regen zum Opfer.
Ich wünsche Euch allen eine erfolgreiche Woche.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen