AUS BRASILIANISCHEN LANDEN - FRISCH AUF DEN TISCH
In den letzten beiden Wochen dominierte „ExpoGrande“, eine der landesweit größten Messen und Leistungsschauen für Agrobusiness („Agronegócio“), die hiesige Berichterstattung. Rund 500.000 Besucher nahmen die Einladung an. Dies entspricht etwa zwei Drittel der Einwohner von Campo Grande oder gut einem Fünftel der Bewohner des gesamten Bundesstaates. Ein bedeutendes Ereignis also für die Region.
Entsprechend hoher Besuch wurde zur Eröffnung erwartet. Präsident Lula persönlich wollte ursprünglich kommen, war aber aufgrund seiner Reise durch den Nahen Osten verhindert. Also sollte die Präsidentschaftskandidatin Dilma, Lulas Wunschnachfolgerin, die Aufgabe übernehmen. Doch auch die Frau Ministerin muss aufgrund einer plötzlichen Erkrankung ihrer Mutter kurzfristig absagen. Ein anderer Minister springt ein, eröffnet die Messe und bringt bei dieser Gelegenheit auch gleich noch 20 Millionen Reais aus Brasília – zur Beseitigung der Schäden, welche die schweren Regenfälle Ende Februar angerichtet haben. Beste Stimmung also.
Landwirtschaft in seiner gesamten Wertschöpfungskette ist ein bedeutender Faktor in der brasilianischen Wirtschaft. Drei Zahlen mögen dies deutlich machen: Ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts, über 40% der Exporte und etwa jeder dritte Arbeitsplatz entfallen auf Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung von Lebensmitteln. Zum Vergleich: In Deutschland trägt die Landwirtschaft laut Statistischen Bundesamt weniger als 1% zum BIP bei.
Diese Relationen reflektieren sich natürlich auch in den Viehbeständen. Irgendwann Ende der 80er Jahre übertraf die Anzahl der Rinder die Anzahl der menschlichen Bewohner in Brasilien. Nach Zahlen des Landwirtschaftsministeriums bevölkerten im Jahre 2005 207 Millionen Rinder und 192 Millionen Menschen dieses Land. In Deutschland müssen sich jeweils etwa 7 Bewohner ein Rind teilen.
In unserem Bundesstaat Mato Grosso do Sul sind die Verhältnisse noch einmal ganz anders. „Wir“ haben brasilienweit mit etwa 25 Millionen Köpfen die zweitgrößte Viehherde, knapp hinter dem Nachbarstaat Mato Grosso. Bei knapp 2,5 Millionen Einwohner ist die Rechnung einfach: 10:1 für die Vierbeiner.
Doch das Ende der Fahnenstange scheint längst nicht erreicht. Die landwirtschaftlich nutzbare Fläche Brasiliens wird mit knapp 4 Mio. km² angegeben. Dies entspricht etwa 11 Deutschlands. Knapp ein Viertel dieser riesigen Fläche wird heute noch gar nicht für die Produktion von Nahrungsmitteln genutzt. Eine Dimension des erwarteten Wachstums des Agrobusiness ist also der Zuwachs der Fläche.
Die andere Dimension stellt die Produktivitätssteigerung dar, d. h. die Steigerung des Ertrags pro Flächeneinheit, sowohl in der Viehzucht als auch im Ackerbau. Die Rinderrassen werden darauf getrimmt, immer schneller zu wachsen, immer robuster gegenüber möglichen Krankheiten zu sein. Im Anbau von Soja, Mais u. a. wird ebenfalls massiv geforscht, um immer schneller immer mehr ernten zu können.
So ist Brasilien, neben den USA, führend in Sachen „Direktsaat“ („plantio direto“). Während der europäische Bauer immer noch glaubt, dass ein Feld nach dem Abernten umgepflügt werden muss, zeigen seine brasilianischen Kollegen mit großem Erfolg, dass es auch anders geht. Gesät wird direkt in den abgeernteten Boden. Das spart Zeit und damit Geld und reduziert die Bodenerosion drastisch. Wir reden also von hoch effizienter industrieller Produktion. Mit ländlicher Sonnenuntergangsromantik hat das nichts mehr zu tun.
Mato Grosso do Sul ist einer der Hauptfleischproduzenten des Landes. Von den weltweiten Rindfleischexporten im Jahre 2008 kamen 30% aus Brasilien. Wenn es nach der Regierung geht, soll diese Quote bis zum Jahr 2020 auf 45% gesteigert werden.
Daneben ist Brasilien noch die weltweite Nummer Eins in Produktion und Export von Kaffee, Zucker und Fruchtsäften sowie im Export von Soja und Hühnerfleisch. Rindfleisch sowieso – und dies, obwohl 80% der Produktion von den heimischen Konsumenten verzehrt werden und nur die restlichen 20% davon in den Export gelangen.
Nun wird ja zu Recht darauf hingewiesen, dass Rinderzucht für einen beträchtlichen Teil des weltweiten Ausstoßes von Treibhausgasen verantwortlich ist. Wir reden dabei in erster Linie von Methan, welches gut zwanzigmal so stark wirkt wie Kohlendioxid. In CO2-Äquivalent umgerechnet reden wir von ca. 1,3 Tonnen CO2 pro Rind und Jahr. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte besagt: Die hiesige Rinderzucht ist sehr flächenintensiv, will sagen: Auf einem Hektar Land weidet in etwa ein Stück Vieh. Man schätzt nun, dass ein Hektar Weideland pro Jahr etwa 3,4 CO2 Tonnen absorbiert. Macht netto minus 2,1 Tonnen CO2.Wenn die Zahlen also stimmen, dann betreibt der hiesige Rinderzüchter ja geradezu aktiven Klimaschutz.
Brasilien ist also eine Großmacht in Sachen Produktion und Verarbeitung von Nahrungsmitteln. Da kann man sich natürlich auch mal fragen, in wie viele Taschen der generierte Reichtum fließt. Das Zahlenmaterial hierzu ist spärlich, was wenig verwundern dürfte. Auf der Internet-Seite des Bildungsministeriums („Ministério da Educação“, kurz „MEC“) befindet sich eine 30-seitige Ausarbeitung über Viehzucht im Bundesstaat Mato Grosso do Sul.
Und dort, gleich auf der ersten Seite, ist eine interessante Tabelle abgedruckt. Diese gibt Aufschluss über die Größenverteilung der Viehzuchtbetriebe in Mato Grosso do Sul, kurz MS. Die angegebenen Zahlen datieren aus dem Jahre 1995 wohlgemerkt. Wenn es seither nennenswerte Veränderungen gab, dann doch wohl im Einklang mit dem weltweiten Trend hin zur Konzentration.
Die Zahlen besagen, dass die Betriebe mit max. 100 Hektar Fläche zahlenmäßig gut die Hälfte ausmachen. Allerdings entfallen nur gut 2% der Fläche auf sie. Auf 1.000 Hektar oder mehr kommt nur jeder siebte Betrieb. Dafür bedecken diese wenigen Betriebe knapp 80% der gesamten Fläche. Hoch konzentriert, würde ich sagen. Die Creme de la Creme wird gebildet von knapp 400 Betrieben mit 10.000 Hektar Land oder mehr. 10.000 Hektar, das sind mal eben 100 km², also 10 km mal 10 km. Das ist etwa die Fläche der Stadt Heidelberg. Oder ein wenig mehr als das gesamte Manhattan. In einer besitzenden Hand. Allerhand.
Und jetzt das i-Tüpfelchen. Was jetzt kommt, steht zwar nicht in dem zitierten Bericht, kann man sich aber unter geschickter Anwendung der vier Grundrechenarten ausrechnen. Es gibt in MS knapp 50.000 Viehzuchtbetriebe mit einer Gesamtfläche von knapp 31 Millionen Hektar. Das macht gut 600 Hektar im Durchschnitt. Wenn nun die 0,8% größten Betriebe, die mit einer Fläche von 10.000 Hektar oder mehr, in Summe 24,5% der Gesamtfläche besitzen, so ergibt sich damit für diese „Königsklasse“ eine durchschnittliche Fläche von knapp 20.000 Hektar. 200 km². 14 km mal 14 km. So groß ist Stuttgart.
Wir nutzen unseren Besuch auf der ExpoGrande zum Besuch eines interessanten Vortrags über die Chancen, welche der Anbau von Eukalyptusbäumen bietet. Wie bitte? Erstens ist Eukalyptus heimisch vorwiegend in Australien. Und zweitens: Was hat ein Baum auf einer Viehzuchtschau verloren?
Auch der Rinderzüchter aus Mato Grosso do Sul rechnet sich am Ende des Jahres seine Rendite aus und schielt dabei auf die nach wie vor hohen Zinsen, welche die Bank für risikolose Investments bezahlt. Gerade eben wurde der Leitzins von 8,75% von der Zentralbank bestätigt.
Nun scheint es so zu sein, dass auch die hiesigen guten Böden langsam, aber sicher an Kraft verlieren. Dies gilt wohl gleichermaßen für Viehzucht als auch den Anbau von Soja und Mais. Betriebswirtschaftlich ausgedrückt heißt dies nichts anderes, als dass die Rendite „unter Druck“ gerät.
Und hier sehen Firmen ihre Chance, welche einem Landbesitzer folgendes Angebot machen: Stelle uns einen Teil Deines Bodens für die nächsten Jahre zur Verfügung. Wir kümmern uns um alles, Du bekommst Deinen finanziellen Anteil. Alles heißt: Den Boden vorbereiten, Eukalyptus in Reih und Glied pflanzen und das Gewächs hegen und pflegen bis es nach 7 oder nach 14 Jahren „geerntet“ werden kann.
Dieses Konzept scheint nach und nach zu überzeugen. Eukalyptus muss es übrigens sein, des schnellen Wachstums wegen. Da kann offenbar kein brasilianischer Baum mithalten. Die Anbaufläche konnte in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt werden auf etwa 300.000 Hektar. Hört sich nach viel an, ist aber weniger als 1% der Fläche des Bundesstaates. Gleichwohl sehen die Produzenten dies als Möglichkeit, ihre Produktpalette zu diversifizieren und sich so von Preisschwankungen unabhängiger zu machen.
Im Übrigen muss kein Rind fürchten, dass es einem Eukaliptuswald weichen muss. Im Gegenteil. Die Bäume könnten dem von der gnadenlos herunter brennenden Sonne geplagten Rind ein wenig Schutz bieten, wenn der Fazendeiro dies gestattet.
Es muss also niemand Angst haben, dass demnächst sonntags der Grill kalt bleiben muss, weil zwar reichlich Holz zum Heizen da ist, es aber kein Fleisch zum Braten mehr gibt.
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