RIO DE JANEIRO - CIDADE MARAVILHOSA
Freitag, 26. Februar 2010
Rio de Janeiro. Endlich. Brasilien ohne Rio, das wäre wie … Bayern ohne München, wie München ohne Oktoberfest, wie Fußballweltmeisterschaft ohne Brasilien, … - also mit einem Wort: undenkbar.
Aber noch ist es nicht so weit. Gefühlte 10.000 Dinge sind vorher zu erledigen. Meine Mama anrufen und ihr zum Geburtstag gratulieren. Den Hund baden und mit Fön trocknen, bevor er zu unseren lieben Verwandten abgeschoben wird, Proviant für die Reise richten usw. usf.
Das Timing stimmt. Die Kinder kommen gerade aus dem Klassenzimmer, da stehen Oriana und ich auch schon mit laufendem Motor vor der Schule, die gepackten Koffer im Kofferraum. Die Schule liegt praktischerweise auf dem Weg zum Flughafen. Der Check-in ist in wenigen Minuten erledigt. Es wird unser erster Flug mit der noch recht neuen Fluglinie „Azul“, zu Deutsch „blau“ werden.
Bis vor knapp zehn Jahren hießen die brasilianischen Fluggesellschaften in Brasilien VARIG, Teil der Star-Alliance mit Lufthansa, und VASP. Damals war Fliegen eine exklusive Angelegenheit. Dann geriet der Markt in Bewegung. TAM und GOL betraten die Bühne. Die Preise fielen. Erst verschwand VASP vom Markt, vor kurzem auch VARIG, deren Reste kurzerhand von GOL aufgekauft wurden. Hinzu kamen OceanAir und Azul.
Letztere ist eine Gründung eines US-Amerikaners, der seine ersten Jahre in Brasilien verbrachte. Als junger Erwachsener kehrte er für ein paar Jahre zurück – als mormonischer Missionar. Später war er erfolgreich als Reiseveranstalter und Gründer von Fluglinien in den USA, zuletzt von JetBlue.
2008 dann Azul in Brasilien. Rio de Janeiro sollte der „Hub“ werden. Doch die etablierten Konkurrenten TAM und GOL waren von dieser Vorstellung gar nicht „amuzed“ und überzeugten den Gouverneur davon, das auch so zu sehen. Also ließ Azul sich in Campinas nieder, wo sie mit offenen Armen aufgenommen wurden.
Die Gesellschaft pflegt ihr Image, das da lautet: „Wir sind anders.“ Eine Besonderheit besteht darin, dass die Flotte ausschließlich Flugzeuge aus heimischer Produktion aufweist. Brasilien besitzt zwar keine eigene Automarke, aber sehr wohl eigene Flugzeuge, die weltweit geschätzt und verkauft werden: die Jets von EMBRAER. Nach vielen Aufs und Abs und Beinahepleiten begann Mitte der 1990er Jahre die Entwicklung zu einem Weltkonzern. Der Schlüssel zum Erfolg bestand in der geschickten Positionierung: die Konzentrierung auf Jets mit 50 bis 100 Sitzplätzen – ein Marktsegment, welches zu jenem Zeitpunkt nicht bedient wurde, von den gerade entstehenden Regionalfluglinien jedoch nachgefragt wurde. Anfang des Jahrtausends konnte EMBRAER sogar Air Canada als Kunden gewinnen, und das als Nachbarn des Rivalen Bombardier.
Nun also unser erster Flug mit Azul. Der Preis schont das Budget. Umgerechnet etwa 150€ pro Person für die Strecke Campo Grande – Rio, hin und zurück. Entfernung ca. 1.400 km.
Pünktlich heben wir ab. Eine gute Stunde und eine Zeitzone später landen wir in Campinas, einer in Europa weitgehend unbekannten Millionenstadt, etwa 100 km von São Paulo entfernt. Auf dem Flughafen geht es zu wie auf einem Busbahnhof. Die auf ihren Abflug wartenden Passagiere sind allesamt in einer großen Halle versammelt. Nach einer Stunde geht es weiter. Etwa 40 Minuten trennen uns nun noch von Rio de Janeiro.
Beim Anflug ist die „cidade maravilhosa“, die „wunderbare Stadt“, bereits in Dunkelheit gehüllt und hell erleuchtet. Deutlich zu erkennen ist die gut 13 km lange Brücke, welche die weiträumige Guanabara-Bucht überspannt. Wir landen auf dem kleinen, dem Inlandsflughafen Santos Dumont, benannt nach dem brasilianischen Luftfahrtpionier, dem nach einhelliger Überzeugung jener Ruhm zusteht, welcher den Gebrüdern Wright zuteil wurde.
Dass ich kleine Flughäfen mag, erwähnte ich bereits an früherer Stelle. Dieser hier ist zwar deutlich größer als „unser“ Flughafen in Campo Grande, aber immer noch sehr überschaubar. Die Zahl der Gepäckbänder beläuft sich auf vier. Nach wenigen Minuten sind wir im Besitz all unserer Habseligkeiten.
Und da kommt uns auch schon mit einem strahlenden Lächeln und offenen Armen Wagner entgegen. Namen, die andernorts Nachnamen sind, werden in Brasilien schon mal als Vornamen vergeben. Wagner also ist der Sohn von Aliete, ihres Zeichens Cousine von Orianas Vater. Folglich ist Wagner Orianas, und damit auch mein Cousin.
Wagner ist ein echter „carioca“. So heißen jene, welche behaupten können, in Rio de Janeiro geboren zu sein. So wie meine Frau. Als sie 11 war, zog die Familie weg. Die Erinnerung ist daher schon einigermaßen verblasst.
In Rio ist ein Auto eher hinderlich. Es gibt zwei U-Bahn-Linien („metrô“), unzählige Busse und mehrere zehntausend Taxis zu recht erschwinglichen Konditionen. Demgegenüber sind Parkplätze extrem knapp. Also lieber kein Auto. Das sieht auch Wagner so. Wenn er allerdings, wie gerade diese Woche, ein paar Tage frei hat und die Stadt verlassen will, dann mietet er sich einfach eines. So wie diese Woche. Daher kann er uns vom Flughafen abholen und zum Hotel bringen.
Natürlich würde er uns bei sich aufnehmen. Die brasilianische Gastfreundschaft ist unübertroffen.
Doch die räumlichen Verhältnisse lassen dies beim besten Willen nicht zu. Bei geschätzten 12 Millionen Einwohnern des Ballungsraums Rio de Janeiro bleibt halt pro Person nicht so viel übrig.
Das "Scorial Rio Hotel" ist um die Ecke von Wagner und Tante („tia“) Alietes Wohnung, im Stadtteil Flamengo, der Heimat des aktuellen und gleichnamigen brasilianischen Fußballmeisters.
Eine Stunde später erwartet uns Tia Aliete mit einem unwiderstehlichen Abendessen: Reis, Fisch Salat. Ach ja, die Freude über das Wiedersehen ist auch groß. Gut gefüllt betten wir uns zur Ruhe. Der nächste Tag hält mehrere 5-Sterne-Attraktionen für uns bereit.
Samstag, 27. Februar 2010
Der Wecker klingelt um 7 Uhr. Der frühe Vogel fängt den Wurm. Wir sind ja schließlich nicht zu unserem Vergnügen hier.
Noch vor dem Frühstück fahre ich in den zehnten Stock. Dort, auf dem Dach, finde ich, wie versprochen, einen Swimming-Pool vor. Als Zugabe gibt es gleich noch einen Blick auf den „Cristo Redentor“, hoch oben auf dem Corcovado.
Die erste Bedrohung für unseren ambitionierten Zeitplan kommt in Gestalt eines überbordenden Frühstücksbuffets mit unwiderstehlichen Köstlichkeiten daher. Das alles zu probieren braucht nun mal seine Zeit.
Schließlich sind wir im Taxi unterwegs zur Talstation jener Zahnradbahn, welche uns auf den gut 700 Meter hohen Corcovado bringen soll, auf dem die weltberühmte Christus-Statue mit ausgebreiteten Armen die Besucher der Stadt begrüßt.
Der Karneval ist vorbei, dennoch sind offenbar nach wie vor viele Touristen in der Stadt. Unsere Tickets haben bekommen wir zügig, allerdings erst für eine Fahrt in zwei Stunden. Was machen wir nun?
Flexibel wie wir sind, winken wir ein weiteres Taxi heran und geben Anweisung, uns zum Botanischen Garten („Jardim Botânico“) zu bringen. Zehn Minuten später sind wir dort. Dieses grüne Paradies wurde vor gut 200 Jahren vom damaligen portugiesischen König Johann VI („Dom João VI“) in Auftrag gegeben. Kurz vorher war er vor dem in unfreundlicher Absicht heranstürmenden Napoleon in Brasiliens damalige Hauptstadt Rio de Janeiro geflüchtet.
Dieser Garten verströmt eine wunderbar angenehme Atmosphäre, mit seinen von Palmen gesäumten Alleen, Bäumen jeglicher Größe und Form, Wasserfällen, Springbrunnen und Pavillons.
Rechtzeitig zur Abfahrt unserer Bahn sind wir wieder zurück an Ort uns Stelle. Ein babylonisches Sprachengewirr ist auszumachen. Mein brasilianischer Sitznachbar fühlt sich unvermittelt fremd im eigenen Land.
Die Fahrt ruft Erinnerungen an die Heidelberger Bergbahn wach. Zwanzig Minuten und 700 Höhenmeter später dürfen wir zu Füßen der 38 m hohen Christusstatue einen atemberaubenden Blick auf große Teile von Rio genießen. Uns zu Füßen liegen der Zuckerhut, die Strände von Copacabana und Ipanema, das Fußballstadion Maracanã, die moderne Kathedrale und vieles mehr.
Bei diesem Panorama achtet man schon mal nicht so genau, wo man hin tritt. Dies kann gefährlich werden für am Boden auf dem Rücken liegende Fotografen, welche versuchen, den ganzen „Cristo Redentor“, den „Christus Erlöser“ einzufangen.
Die Idee, in dieser exponierten Lage eine Christusstatue zu errichten, entsteht im neunzehnten Jahrhundert, zu Zeiten des Kaisserreichs („império“). Doch dann kommt, 1898, erst mal die Republik und vollzieht die Trennung von Staat und Kirche. 1922, anlässlich des hundertjährigen Jubiläums der Unabhängigkeit Brasiliens, entsteht eine Art Bürgerinitiative für die Errichtung einer Christusstatue, welche 20.000 Unterschriften sammelt und diese dem damaligen Präsidenten überreicht. Noch im selben Jahr wird der Grundstein gelegt. Bis das fertige Monument schließlich eingeweiht werden kann, vergehen weitere neun Jahre.
Zufrieden und mit visuell gesättigt treten wir die Rückfahrt an.
Nächste Station: Zuckerhut („Pão de Açúcar“). Es verfestigt sich der Eindruck, dass offenbar die ganz große Zahl von Rios Taxifahrern es ehrlich mit ihren Kunden meint. Stets wird unaufgefordert der Taxameter eingeschaltet, nicht bestellte Stadtrundfahrten finden nicht statt.
Nanu? Die Kasse an der Seilbahn, an der vor gut 30 Jahren Roger Moore alias James Bond schon herumturnte, ist praktisch leer. Also dann, her mit den Tickets. Erst aber müssen wir etwas essen.
Und siehe da: Wenige Schritte entfernt von einer der größten Touristenattraktionen Brasiliens, allerdings nicht in dessen Sichtweite, finden wir ein kleines feines Restaurant mit „comida a quilo“, wo man also sic nach Herzenslust von einem Buffet bedient und das Ergebnis der Auswahl wiegen lässt und entsprechend dafür bezahlt.
Transparenz ist halt immer gut. Auch beim Essen. Was Du siehst, ist was Du isst. Feine Sache. Derart gut genährt sind wir für die Fahrt mit der Seilbahn gerüstet.
Dem ca. 370 m hohen Zuckerhut nähert man sich in zwei Etappen. Die erste Gondel bringt uns auf den vorgelagerten „Morro da Urca“, den Hügel des Stadtteils Urca. Dort hat sich ein Ort für Kultur, Musik und Kino etabliert. Der Ausblick von hier oben ist schon mal ordentlich. Doch unser Ziel liegt höher.
Ein Schild im Inneren der zweiten Gondel offenbart, dass hier Technik aus der Schweiz („Suiça“) im Einsatz ist. Nun ja – in den knapp hundert Jahren ihres Bestehens ist kein einziger Unfall zu verzeichnen. Ist dann doch irgendwie beruhigend.
Der Ausblick von der Spitze des Zuckerhuts lässt keine Wünsche offen. Hier die Guanabara-Bucht, dort der weltbekannte Copacabana-Strand. Gäbe es Rio nicht, man müsste es glatt erfinden.
Wieder unten angekommen, nehmen wir – natürlich – wieder ein Taxi. Bitte zur Copacabana. Wir geraten an einen sehr gesprächigen und offenbar auch sehr geschäftstüchtigen Taxifahrer. Er schwärmt wortreich von einem Aussichtspunkt, den man gesehen haben muss. Nur wenige Kilometer entfernt. Also gut, dann mal los. Wir biegen in die Avenida Atlântica ein, der Straße entlang der Copacabana. Ein Hotel reiht sich an das nächste. Eine Augenweide ist die Fassade des ehrwürdigen „Copacabana Palace“.
Es schließt sich der Strand von Ipanema an. Dort lebte jenes Mädchen namens Heloisa, genannt „Helô“, welches Tom Jobim und Vinicius de Moraes zu dem weltbekannten Lied „The Girl from Ipanema“ inspirierte.
Heute ist Ipanema ist einer der Treffpunkte für Schwule und Lesben. Rio de Janeiro erhielt kürzlich eine Auszeichnung als das beste Reiseziel für Schwule und Lesben weltweit. Nach Rios Bürgermeister Eduardo Paes ist dies ein weiterer Beweis für die Gastfreundschaft der Bevölkerung.
Und schon sind wir am Strand von Leblon, an dessen Ende sich die Wellen an den Felsen brechen. Der versprochene Ausblick ist ok. Andererseits ist es bei diesem Szenarien auch sicher schwer, einen schlechten Ausblick zu finden. Wir fahren zurück und steigen an der Copacabana aus, wo wir die Füße ins Wasser strecken. Verwöhnt und verweichlicht von dem wohlig warmen Meerwasser von Salvador da Bahia, empfinden wir die hier vorherrschenden geschätzten 23 Grad als definitiv zu kalt zum Baden. Stattdessen schlendern wir entspannt weiter in dem Bewusstsein, am möglicherweise berühmtesten Strand der Welt zu sein.
Der Tag neigt sich dem Ende zu. Gegen 18 Uhr ist es dunkel. Also dann zurück zum Hotel. Wieder ein gesprächiger Taxifahrer. Er will uns jedoch nichts verkaufen, sondern uns lediglich davon überzeugen, dass früher alles viel besser war. So, so. Das Gespräch verläuft recht einseitig. Wir sind in Gedanken noch im Jardim Botânico, auf dem Corcovado, dem Pão de Açúcar, an der Copacabana.
Entspannen („relaxar“) im Hotel. Füße hochlegen. Duschen. Die schwierige Entscheidung treffen, wo wir zu Abend essen werden. Die Wahl fällt auf „Catete Grill“. Catete ist der Name eines Stadtteils, der an Flamengo grenzt. Zu Fuß in wenigen Minuten zu erreichen.
Wiederum ein Self-Service-Restaurant, dieses Mal jedoch der feineren Art. Das Speisenangebot umfasst reicht von gegrillten Fleischstückchen verschiedenster Art und Größe über Fisch, Shrimps („camarão“) bis hin zu Sushi. Da natürlich Salate, Beilagen etc.
So geht ein erlebnisreicher Tag zu Ende. Als ich vor der Nachtruhe beiläufig die Frage stelle, ob wir am folgenden Tag wieder um 7 Uhr aufstehen wollen, ernte ich Reaktionen zwischen blankem Unverständnis und offener Meuterei. Also gut. Wir einigen und auf 8 Uhr.
Sonntag, 28. Februar 2010
Die realistische Aussicht auf ein weiteres opulentes Frühstück hilft beim Aufstehen. Folgende Speisensequenz beginnt sich abzuzeichnen: Erst reichlich Obst – Mango, Ananas, Melone etc. Dann Rührei mit Bacon und Toast. Schließlich Käse und Marmelade („Rómeo & Julieta“) sowie das eine oder andere süße Teilchen.
An diesem sonnigen Vormittag wollen wir zunächst den Flamengo-Park kennen lernen, der sich quasi vor unserer Hoteltür erstreckt. Das Mittel der Wahl dazu hierzu ist eine Führung auf einem offenen Elektroauto („carro elétrico“). Cláudio, unser Chauffeur und kundiger Führer, bringt uns die Geschichte dieses gut 1 km² großen Parks am Atlantikstrand nahe.
Vor einhundert Jahren noch gehört das Areal dem Meer. Dann wird der Plan gefasst, hier mit Erde aufzuschütten, um die Nord-Süd-Verbindungsstraße verbreitern zu können. Dann betritt die Architektin und Landschaftsgestalterin Carlota de Macedo Soares die politische Bühne und überzeugt den damaligen Gouverneur davon, hier einen Park zu errichten. Prompt erhält sie den Auftrag für dieses Projekt. Mit viel Weitblick und diplomatischem Geschick führt sie nicht nur dieses Werk zum Erfolg, sondern erwirkt auch, dass der neugeschaffene Park sofort unter den Schutz der nationalen Denkmalschutzbehörde gestellt wird, um Spekulanten gar nicht erst in Versuchung zu führen.
Ein Gutteil der Führung ist den etwa 200 Arten von Bäumen, Palmen, Sträuchern und Blumen aus allen Teilen der tropischen Welt gewidmet. Mit seiner typisch brasilianischen Art – freundlich, sympathisch, herzlich mit einem Lächeln, das authentisch ist und nicht Aufgesetztes hat – macht Cláudio diese Führung zu einem echten Highlight.
Unser weiterer Weg führt uns zu „Oi Futuro“, wörtlich „Hallo Zukunft“. Das Wörtchen „oi“ bedeutet so viel wie „hallo“, ist aber passenderweise auch der Name einer der großen Telekommunikationsunternehmen Brasiliens. „Oi Futuro“ also ist eine Art Kulturzentrum für Technologie und Kommunikation, wo deren Vergangenheit und Zukunft in sehr lebendiger Weise dargestellt werden. So sind auch die Heranwachsenden unter uns zu begeistern.
Mittagessen. Wieder im „Catete Grill“. Wieder sehr gut. Wieder sehr reichlich. Ich beginne zu ahnen, dass Sonderschichten im Fitnessstudio auf uns zukommen. Ja, ja, aber nicht jetzt.
Mittlerweile haben Regenwolken die Vorherrschaft am Himmel errungen. Wir setzen auf Museen. Zu Fuß erreichen das „Museu da República“, den Sitz nahezu aller brasilianischen Präsidenten seit Beginn der Republik 1889, bis zur Verlagerung der Hauptstadt nach Brasília 1960.
Der Palast lässt zunächst ein Portugiese erbauen, der während der Kaiserzeit mit Sklavenhandel und Kaffeeanbau ein großes Vermögen erworben hat. Weil er einen Teil davon in den Ausbau der Eisenbahn investiert, wird er vom Kaiser Dom Pedro II. zum Baron Nova Friburgo geadelt. Das Anwesen geht durch mehrere Hände, bis schließlich die junge Republik es erwirbt. Der Hauch der Geschichte ist deutlich spürbar, insbesondere im Schlafgemach von Gétulio Vargas, jenes Präsidenten, welcher sich dort mittels einer Pistole vom Leben zum Tod beförderte. Insgesamt 18 Jahre lang, in zwei Etappen stand er an der Spitze des Landes. Dann schien seine Zeit abgelaufen. Opposition und Presse drängten ihn zum Rücktritt. Sein Abgang hatte durchaus etwas Theatralisches, wählte er doch die Bartholomäusnacht für seinen Freitod.
Wir beschließen die heutige Bildungsoffensive mit einem kurzen Besuch des „Museu Hstórico Nacional“. Dort wird der Besucher u.a. über den „Vertrag von Tordesillas“ informiert. Und das war so: 1494, als zwei Jahre nach Kolumbus’ Entdeckungsreise, teilen Spanien und Portugal den in seiner vollen Größe noch unentdeckten amerikanischen Kontinent schon mal unter sich auf. Und zwar auf persönlichen Wunsch des Herrn Papstes. Danach wurde eine Nord-Süd-Linie gezogen, 1.770 km westlich der Kapverdischen Inseln. Alle Gebiete westlich dieser Linie sollten Spanien gehören, der Rest den Portugiesen. Wäre es bei dieser Einteilung geblieben, so wäre der größte Teil Brasiliens, incl. Campo Grande, heute spanisch. Hut 150 Jahre später wurde der Vertrag aufgehoben, und die Portugiesen konnten sich den Rest Brasiliens unter den Nagel reißen.
Montag, 1. März 2010
Regen. Und das am Geburtstag. Heute vor 445 Jahren wird die Stadt Rio de Janeiro gegründet. Ob es damals auch regnete, ist nicht bekannt. Für den Namen der Stadt sind übrigens zwei mögliche Erklärungen im Umlauf. Bezüglich „Janeiro“ ist man sich einig. Am 1. Januar 1502 kam der erste Portugies hier vorbei. So weit so gut. Nur gibt es weit und breit keinen Fluss („rio“). Erklärung Nummer eins besagt, dass die Portugiesen die ca. 20 km tiefe Guanabara-Bucht fälschlicherweise für eine Flussmündung gehalten haben. Erklärung Nummer zwei führt an, dass das Wort „rio“ zu jener Zeit nicht nur Fluss, sondern auch Bucht bedeutete. Wie dem auch sei – für einen Umbenennung ist es jetzt, wenige Jahre vor den Olympischen Spielen, definitiv zu spät.
Was macht man in Rio bei Regen? Man kann zum Beispiel mit der Straßenbahn fahren. Im Stadtteil Santa Teresa verkehrt seit über hundert Jahren eine Straßenbahn, die heute vorwiegend Touristen befördert. Ein einzelner gelber Wagen, seitlich offen erklimmt waghalsige Steigungen und enge Kurven. Der Höhepunkt kommt bald nach Abfahrt: die Überquerung des noch aus der Kolonialzeit stammenden Äquadukts von Lapa, die Bögen von Lapa („Arcos da Lapa“). Hier blickt man knapp 20 m senkrecht in die Tiefe. Nicht alle Familienmitglieder sind von dieser Aussicht angetan. Der Fahrer dieses Vehikels hat stets einen Adjutanten bei sich. Dessen Aufgabe ist es, wie vor hundert Jahren mit Hilfe einer Eisenstange die mechanischen Weichen zu stellen.
Nach so viel Abenteuer bereits am Vormittag steht der Sinn nach Entspannung für Leib und Seele. Ein hierfür taugliches Ziel ist die vor knapp 150 Jahren im Jugendstil errichtete „Confeitaria Colombo“. Heiße Schokolade, erlesene Tortenstückchen, in einem stilvollen Ambiente. Schon ist das Stimmungsbarometer wieder am oberen Anschlag.
Unser Besuch in der wunderbaren Stadt, der „Cidade Maravilhosa“ neigt sich dem Ende zu. Die letzten Stunden nutzen wir für einen Besuch einer weiteren Tante von Oriana, welche sich gerade von einer Operation erholt.
So sind wir dann auch bereits wieder am Flughafen Santos Dumont. Drei herrliche Tage liegen hinter uns. Rio ist eine Reise wert. Auch zwei.
Was sonst noch geschah
Während wir uns derart vergnügen, bebt in Chile die Erde und – was wir erst später erfahren – gehen über Campo Grande die stärksten Regenfälle der letzten 5 Jahre nieder. Innerhalb von anderthalb Stunden fallen knapp 10 cm Regen. Straßen werden überschwemmt, zum Teil weggespült, Autos und Gebäude zum Teil schwer beschädigt. Der Bürgermeister ruft den Notstand aus. Wir haben Glück. Unser Haus steht noch. Das Wasser hat uns verschont.