Dienstag, 30. März 2010

Dienstag, 30. März 2010

AUS BRASILIANISCHEN LANDEN - FRISCH AUF DEN TISCH


In den letzten beiden Wochen dominierte „ExpoGrande“, eine der landesweit größten Messen und Leistungsschauen für Agrobusiness („Agronegócio“), die hiesige Berichterstattung. Rund 500.000 Besucher nahmen die Einladung an. Dies entspricht etwa zwei Drittel der Einwohner von Campo Grande oder gut einem Fünftel der Bewohner des gesamten Bundesstaates. Ein bedeutendes Ereignis also für die Region.


Entsprechend hoher Besuch wurde zur Eröffnung erwartet. Präsident Lula persönlich wollte ursprünglich kommen, war aber aufgrund seiner Reise durch den Nahen Osten verhindert. Also sollte die Präsidentschaftskandidatin Dilma, Lulas Wunschnachfolgerin, die Aufgabe übernehmen. Doch auch die Frau Ministerin muss aufgrund einer plötzlichen Erkrankung ihrer Mutter kurzfristig absagen. Ein anderer Minister springt ein, eröffnet die Messe und bringt bei dieser Gelegenheit auch gleich noch 20 Millionen Reais aus Brasília – zur Beseitigung der Schäden, welche die schweren Regenfälle Ende Februar angerichtet haben. Beste Stimmung also.


Landwirtschaft in seiner gesamten Wertschöpfungskette ist ein bedeutender Faktor in der brasilianischen Wirtschaft. Drei Zahlen mögen dies deutlich machen: Ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts, über 40% der Exporte und etwa jeder dritte Arbeitsplatz entfallen auf Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung von Lebensmitteln. Zum Vergleich: In Deutschland trägt die Landwirtschaft laut Statistischen Bundesamt weniger als 1% zum BIP bei.


Diese Relationen reflektieren sich natürlich auch in den Viehbeständen. Irgendwann Ende der 80er Jahre übertraf die Anzahl der Rinder die Anzahl der menschlichen Bewohner in Brasilien. Nach Zahlen des Landwirtschaftsministeriums bevölkerten im Jahre 2005 207 Millionen Rinder und 192 Millionen Menschen dieses Land. In Deutschland müssen sich jeweils etwa 7 Bewohner ein Rind teilen.


In unserem Bundesstaat Mato Grosso do Sul sind die Verhältnisse noch einmal ganz anders. „Wir“ haben brasilienweit mit etwa 25 Millionen Köpfen die zweitgrößte Viehherde, knapp hinter dem Nachbarstaat Mato Grosso. Bei knapp 2,5 Millionen Einwohner ist die Rechnung einfach: 10:1 für die Vierbeiner.


Doch das Ende der Fahnenstange scheint längst nicht erreicht. Die landwirtschaftlich nutzbare Fläche Brasiliens wird mit knapp 4 Mio. km² angegeben. Dies entspricht etwa 11 Deutschlands. Knapp ein Viertel dieser riesigen Fläche wird heute noch gar nicht für die Produktion von Nahrungsmitteln genutzt. Eine Dimension des erwarteten Wachstums des Agrobusiness ist also der Zuwachs der Fläche.


Die andere Dimension stellt die Produktivitätssteigerung dar, d. h. die Steigerung des Ertrags pro Flächeneinheit, sowohl in der Viehzucht als auch im Ackerbau. Die Rinderrassen werden darauf getrimmt, immer schneller zu wachsen, immer robuster gegenüber möglichen Krankheiten zu sein. Im Anbau von Soja, Mais u. a. wird ebenfalls massiv geforscht, um immer schneller immer mehr ernten zu können.


So ist Brasilien, neben den USA, führend in Sachen „Direktsaat“ („plantio direto“). Während der europäische Bauer immer noch glaubt, dass ein Feld nach dem Abernten umgepflügt werden muss, zeigen seine brasilianischen Kollegen mit großem Erfolg, dass es auch anders geht. Gesät wird direkt in den abgeernteten Boden. Das spart Zeit und damit Geld und reduziert die Bodenerosion drastisch. Wir reden also von hoch effizienter industrieller Produktion. Mit ländlicher Sonnenuntergangsromantik hat das nichts mehr zu tun.


Mato Grosso do Sul ist einer der Hauptfleischproduzenten des Landes. Von den weltweiten Rindfleischexporten im Jahre 2008 kamen 30% aus Brasilien. Wenn es nach der Regierung geht, soll diese Quote bis zum Jahr 2020 auf 45% gesteigert werden.


Daneben ist Brasilien noch die weltweite Nummer Eins in Produktion und Export von Kaffee, Zucker und Fruchtsäften sowie im Export von Soja und Hühnerfleisch. Rindfleisch sowieso – und dies, obwohl 80% der Produktion von den heimischen Konsumenten verzehrt werden und nur die restlichen 20% davon in den Export gelangen.


Nun wird ja zu Recht darauf hingewiesen, dass Rinderzucht für einen beträchtlichen Teil des weltweiten Ausstoßes von Treibhausgasen verantwortlich ist. Wir reden dabei in erster Linie von Methan, welches gut zwanzigmal so stark wirkt wie Kohlendioxid. In CO2-Äquivalent umgerechnet reden wir von ca. 1,3 Tonnen CO2 pro Rind und Jahr. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte besagt: Die hiesige Rinderzucht ist sehr flächenintensiv, will sagen: Auf einem Hektar Land weidet in etwa ein Stück Vieh. Man schätzt nun, dass ein Hektar Weideland pro Jahr etwa 3,4 CO2 Tonnen absorbiert. Macht netto minus 2,1 Tonnen CO2.Wenn die Zahlen also stimmen, dann betreibt der hiesige Rinderzüchter ja geradezu aktiven Klimaschutz.


Brasilien ist also eine Großmacht in Sachen Produktion und Verarbeitung von Nahrungsmitteln. Da kann man sich natürlich auch mal fragen, in wie viele Taschen der generierte Reichtum fließt. Das Zahlenmaterial hierzu ist spärlich, was wenig verwundern dürfte. Auf der Internet-Seite des Bildungsministeriums („Ministério da Educação“, kurz „MEC“) befindet sich eine 30-seitige Ausarbeitung über Viehzucht im Bundesstaat Mato Grosso do Sul.


Und dort, gleich auf der ersten Seite, ist eine interessante Tabelle abgedruckt. Diese gibt Aufschluss über die Größenverteilung der Viehzuchtbetriebe in Mato Grosso do Sul, kurz MS. Die angegebenen Zahlen datieren aus dem Jahre 1995 wohlgemerkt. Wenn es seither nennenswerte Veränderungen gab, dann doch wohl im Einklang mit dem weltweiten Trend hin zur Konzentration.


Die Zahlen besagen, dass die Betriebe mit max. 100 Hektar Fläche zahlenmäßig gut die Hälfte ausmachen. Allerdings entfallen nur gut 2% der Fläche auf sie. Auf 1.000 Hektar oder mehr kommt nur jeder siebte Betrieb. Dafür bedecken diese wenigen Betriebe knapp 80% der gesamten Fläche. Hoch konzentriert, würde ich sagen. Die Creme de la Creme wird gebildet von knapp 400 Betrieben mit 10.000 Hektar Land oder mehr. 10.000 Hektar, das sind mal eben 100 km², also 10 km mal 10 km. Das ist etwa die Fläche der Stadt Heidelberg. Oder ein wenig mehr als das gesamte Manhattan. In einer besitzenden Hand. Allerhand.


Und jetzt das i-Tüpfelchen. Was jetzt kommt, steht zwar nicht in dem zitierten Bericht, kann man sich aber unter geschickter Anwendung der vier Grundrechenarten ausrechnen. Es gibt in MS knapp 50.000 Viehzuchtbetriebe mit einer Gesamtfläche von knapp 31 Millionen Hektar. Das macht gut 600 Hektar im Durchschnitt. Wenn nun die 0,8% größten Betriebe, die mit einer Fläche von 10.000 Hektar oder mehr, in Summe 24,5% der Gesamtfläche besitzen, so ergibt sich damit für diese „Königsklasse“ eine durchschnittliche Fläche von knapp 20.000 Hektar. 200 km². 14 km mal 14 km. So groß ist Stuttgart.


Wir nutzen unseren Besuch auf der ExpoGrande zum Besuch eines interessanten Vortrags über die Chancen, welche der Anbau von Eukalyptusbäumen bietet. Wie bitte? Erstens ist Eukalyptus heimisch vorwiegend in Australien. Und zweitens: Was hat ein Baum auf einer Viehzuchtschau verloren?


Auch der Rinderzüchter aus Mato Grosso do Sul rechnet sich am Ende des Jahres seine Rendite aus und schielt dabei auf die nach wie vor hohen Zinsen, welche die Bank für risikolose Investments bezahlt. Gerade eben wurde der Leitzins von 8,75% von der Zentralbank bestätigt.


Nun scheint es so zu sein, dass auch die hiesigen guten Böden langsam, aber sicher an Kraft verlieren. Dies gilt wohl gleichermaßen für Viehzucht als auch den Anbau von Soja und Mais. Betriebswirtschaftlich ausgedrückt heißt dies nichts anderes, als dass die Rendite „unter Druck“ gerät.


Und hier sehen Firmen ihre Chance, welche einem Landbesitzer folgendes Angebot machen: Stelle uns einen Teil Deines Bodens für die nächsten Jahre zur Verfügung. Wir kümmern uns um alles, Du bekommst Deinen finanziellen Anteil. Alles heißt: Den Boden vorbereiten, Eukalyptus in Reih und Glied pflanzen und das Gewächs hegen und pflegen bis es nach 7 oder nach 14 Jahren „geerntet“ werden kann.


Dieses Konzept scheint nach und nach zu überzeugen. Eukalyptus muss es übrigens sein, des schnellen Wachstums wegen. Da kann offenbar kein brasilianischer Baum mithalten. Die Anbaufläche konnte in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt werden auf etwa 300.000 Hektar. Hört sich nach viel an, ist aber weniger als 1% der Fläche des Bundesstaates. Gleichwohl sehen die Produzenten dies als Möglichkeit, ihre Produktpalette zu diversifizieren und sich so von Preisschwankungen unabhängiger zu machen.


Im Übrigen muss kein Rind fürchten, dass es einem Eukaliptuswald weichen muss. Im Gegenteil. Die Bäume könnten dem von der gnadenlos herunter brennenden Sonne geplagten Rind ein wenig Schutz bieten, wenn der Fazendeiro dies gestattet.


Es muss also niemand Angst haben, dass demnächst sonntags der Grill kalt bleiben muss, weil zwar reichlich Holz zum Heizen da ist, es aber kein Fleisch zum Braten mehr gibt.


Mittwoch, 24. März 2010

Mittwoch, 24. März 2010

EHRENSACHE


Seit Februar gehe ich einer ehrenamtlichen Tätigkeit nach. Man spricht hier von „freiwilliger Arbeit“ („trabalho voluntário“). Ob die Erwerbsarbeit im logischen Umkehrschluss daher als unfreiwillig angesehen wird, vermag ich nicht zu sagen.


Die freiwillige Arbeit ist sogar ein Bundesgesetz geregelt, welches besagt, dass ein Freiwilliger maximal acht Stunden pro Woche in dieser Weise tätig werden darf.


Meine erste Anlaufstelle war „MesaBrasil“. „Mesa“ bedeutet „Tisch“. Es handelt sich also um eine gemeinnützige Einrichtung, welche dafür sorgt, dass etwas zu Essen auf den Tisch kommt. Im Unterschied zu deutschen Tafelläden beliefert MesaBrasil allerdings keine Endverbraucher, sondern Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten, Altersheime, Frauenhäuser etc. Und dies in ganz Brasilien.


Bei MesaBrasil Campo Grande lerne ich Dona Lúcia kennen. Sie gibt mir eine ausführliche Einführung in die Arbeit der Organisation. Ja, sie würden auch mit Freiwilligen arbeiten. Diese würden aber in erster Linie schwere Säcke mit Reis, Bohnen und anderen Nahrungsmitteln schleppen. Da ich ja was Computern verstehen würde, hätte sie aber eine andere Idee.


So vermittelt sie mich weiter an Dona Gislene, die Leiterin einer Einrichtung, die man am ehesten wohl als Kinderhort bezeichnen könnte. Diese Einrichtung namens „Sociedade Educacional Constantino Lopes Rodrigues“, kurz „SOECON“, im Stadtteil „Nova Lima“ an der Peripherie gelegen, wird von etwa 250 Kindern aus hauptsächlich ärmeren Familien besucht. Mitunter sind die Familien nicht nur arm, sondern auch noch zerrüttet („desagregado“), sei es durch Trennung oder dadurch, dass ein Elternteil eine Strafe im Gefängnis verbüßt.


Die Kinder besuchen vormittags oder nachmittags eine normale Schule. Die jeweils andere Hälfte des Tages verbringen sie bei SOECON. Dort werden sie nicht nur beaufsichtigt und verpflegt, sondern erhalten von professionellen Lehrern ergänzenden Unterricht.


SOECON hat nun von einer anderen karitativen Organisation eine Spende erhalten: ein halbes Dutzend PCs. Leider weiß niemand etwas damit anzufangen.


So war die erste Idee, dass ich kleine Gruppen von Kindern im Umgang mit dem Computer unterrichte. Der Gedanke wurde jedoch im Gespräch mit Ricardo, dem Vorsitzenden („Presidente“) des Trägervereins, wieder verworfen, da dies erstens den restlichen Unterricht durcheinanderbringen würde und zweitens nicht allen gleichermaßen zugute kommen könnte. Stattdessen wäre es doch nachhaltiger, wenn ich Lehrer unterrichten würde, auf dass diese anschließend das erworbene Wissen mit ihren Schützlingen teilen können. Recht hat er.


Gesagt, getan. So verbringe ich nun also zwei Vormittage in der Woche in „Nova Lima“. Das ist dort, wo nur einzelne Straßen asphaltiert sind. Das ist äußerst unangenehm, wenn man dort bei Regen unterwegs sein muss, jedoch überaus hilfreich für die Orientierung: „Die nächste asphaltierte Straße rechts.“


„Nova Lima“ ist also ein Stadtteil, wo und man als vergleichsweise gutsituierter Bewohner des Stadtzentrums eigentlich nicht hinkommt.


Meinen „Schülern“ scheinen die Unterrichtsstunden („aulas“) Spaß zu machen, mir ebenso. Sie sind mit Eifer bei der Sache und machen gute Fortschritte. Ich übrigens auch, nämlich das brasilianisch-portugiesische Microsoft-Vokabular. Win-win also.


Einen ganz konkreten Zweck verfolgen wir dabei auch noch. Wie die meisten gemeinnützigen Einrichtungen, so finanziert auch SOECON sich teilweise aus Sponsorengeldern. Um neue Sponsoren zu gewinnen und die alten bei Laune zu halten, ist es opportun, die geleistete Arbeit ins rechte Licht zu rücken. So erstellen wir im Rahmen unserer „aulas“ Schritt für Schritt einen ansprechenden Bericht („relatório“) über die Tätigkeit der Einrichtung. Mit Microsoft Powerpoint in brasilianischem Portugiesisch, versteht sich.


HERBST


Deutschland atmet auf. Der Winter ist zu Ende, der langersehnte Frühling ist da. Wobei sich das Aufatmen beschränkt auf jene, die von Glück sagen können, dass die Pollen ihnen nichts anhaben. Heuschnupfen ist in Brasilien weitgehend unbekannt. Die Ursache ist vermutlich darin begründet, dass die pflanzliche Natur hier das ganze Jahr über aktiv ist. Somit besteht keinerlei Notwendigkeit, innerhalb weniger Wochen das gesamte Pulver zu verschießen. Bei uns ist jetzt übrigens Herbst. Dies hat zur Folge, dass die Tageshöchsttemperaturen auch mal unter 30 Grad liegen.


Ich wünsche Euch allen schöne erste Frühlingstage.

Mittwoch, 10. März 2010

Mittwoch, 10. März 2010

RIO VERDE DE MATO GROSSO


Ich hätte nicht gedacht, dass das Wochenende nach Rio de Janeiro gleich wieder ein atemberaubendes Highlight für uns bereithält. Und doch verhält es sich so. Dass es dazu kam, hat mit dem brasilianischen Gesundheitssystem zu tun.


Brasilien verfügt über ein staatliches Gesundheitssystem, das „Sistema Único de Saúde“, abgekürzt „SUS“. Wörtlich übersetzt „Das einzige Gesundheitssystem“. Alle, egal ob arm oder reich, zahlen in dieses System ein. Niemand kann sich, wie in Deutschland, mittels einer privaten Krankenversicherung davon freikaufen. Es steht natürlich jedem frei, sich zusätzlich privat krankenzuversichern. Doch der Beitrag in die Solidargemeinschaft muss sein.


Für die Patienten gibt es ambulante Versorgungs­einrichtungen („posto de saúde“) und Krankenhäuser („hospital“), welche kostenlos in Anspruch genommen werden können und entweder vom „SUS“ direkt oder aber von der Staat oder dem Bundesstaat betrieben werden.


Nun weiß man in Deutschland, dass so mancher Landarzt lange und inzwischen oft vergeblich einen Nachfolger sucht. Ähnlich ist es hier. In den großen Städten ist die Ausstattung mit Ärzten sehr gut. In kleinen Städten und dem Land dagegen ist es oft einen Herausforderung, die Versorgung gerade an Randzeiten, also etwa am Wochenende sicherzustellen.


So erreichte Oriana die Anfrage, ob sie nicht von Freitag auf Samstag eine Nachtschicht im städtischen Krankenhaus („hospital municipal“) in der Kleinstadt „Rio Verde de Mato Grosso“ leisten möchte, da gerade Not am Mann bzw. an der Frau sei.


„Rio Verde“ bedeutet grüner Fluss. Den Namenszusatz „de Mato Grosso“ braucht es, da im Nachbarstaat Goiás sich ein gleichnamiger Ort befindet. „Rio Verde de Goiás“ eben. „Rio Verde de MT“, wie es abgekürzt heißt, liegt noch in Mato Grosso do Sul. Der Name der Stadt stammt jedoch aus der Zeit vor Abspaltung von Mato Grosso do Sul vom einstigen riesengroßen Bundesstaat Mato Grosso. Nachträglich wird da nicht mehr geändert.


Zurück zur Nachtschicht. Gut, wird gemacht. Wir waren zwar noch nicht dort, wissen aber, dass es dort sehr schöne Wasserfälle geben soll. Daher beschließen wir kurzerhand, alle zusammen zu fahren. Hund inklusive. Während die Frau schuftet, amüsiert sich der Rest der Familie. Typisch.


Oriana braucht keine Unterkunft, wir aber schon. Von unserem Cousin und Freund Aldo haben wir den wieder einmal den entscheidenden Tipp bekommen: Die „Pousada do Didi“, „Didis Pension“. Bei Immobilien zählt ja in erster Linie die Lage. Und bei diesem Objekt soll diese recht einmalig sein. Wir telefonieren mit Didi. Er hat Platz für uns. Alles klar. Lassen wir uns überraschen.


Aufbruch Freitagnachmittag, 15 Uhr. Wir veranschlagen drei Stunden für die Fahrt. Der Weg dorthin ist einfach. Campo Grande in nördlicher Richtung verlassen, dann auf der Bundesstraße „BR-163“ 200 km geradeaus. Abermals scheinen sich alle LKW-Fahrer der Region auf dieser Route versammelt zu haben. Dann auch noch eine längere Baustelle. Wir schaffen es gerade eben mal so, gegen 18 h anzukommen.


Die Pousada befindet sich 7 km außerhalb der Stadt. Didis Wegbeschreibung lautet: Wenn der Asphalt endet, noch 80 m, dann rechts abbiegen. Klare Anweisung. Wir sind da. Und überwältigt. Unser Zimmer ist unmittelbar neben dem Wasserfall. Moskitos gibt es auch keine. Wir können also mit offenem Fenster schlafen. Herrlich.

Ausgiebige Kontemplation muss jedoch warten. Wir müssen jetzt ganz schnell was essen und Oriana vor 19 h im Krankenhaus abliefern. Knapp, aber zu schaffen.


Während Oriana sich um die Leidenden kümmert, lassen wir uns von dem sanften Rauschen des Wasserfalls in den Schlaf versenken.


Die Nachtschicht endet pünktlich um 7 Uhr morgens. Und natürlich bin ich zur Stelle, um meine Gattin abzuholen. Vorher jedoch fordert das Haustier sein Recht. Ich nutze die Gelegenheit, einen nahegelegenen Aussichtspunkt („mirante“) aufzusuchen, um die Wasserfälle, sieben an der Zahl, in seiner vollen Schönheit, glitzernd in der morgendlichen Sonne zu genießen. Ein wahrhaft atemberaubender Anblick, den ich in diesen Minuten nur mit unserem Hund teile. Weit und breit keine Menschenseele.


Den Vormittag dieses heißen Tages verbringen wir an und in den Wasserfällen. Das Wasser ist kristallklar und auf eine ganz besondere Weise weich. Wir sind zwar nicht allein, doch die Zahl der Besucher ist sehr überschaubar. Zwischendurch erkundigt sich Didi, ob wir zum Mittagessen bleiben wollen. „Comida caseira“ werde es geben. Diese einfache, frisch zubereitete Kost, die wir über alle Maße schätzen. Aber gerne bleiben wir.


Sich an dieser Stelle nach dem Preis zu erkundigen, ist überflüssig. Es wird ein fairer Preis sein. Didi und seine Gattin betreiben, inzwischen mit Kindern, Schwiegertochter und Enkelkind diese Pousada seit bald 25 Jahren. So jemand kommt nicht auf die Idee, jemanden „abzocken“ zu wollen. Hier gilt „Customer first!“, auf dass dieser möglichst wiederkommen möge. Wenn ich es mir recht überlege, sind wir auf all unseren Reisen hier Brasilien nicht ein einziges Mal „übers Ohr gehauen“ worden.


Wenn man etwas immer wieder erlebt, so kann sich ja leicht Gewohnheit einstellen mit der Folge, dass man dieses Erlebnis nicht mehr als etwas Besonderes wahrnimmt. Mit dem hiesigen Essen scheint es sich anders zu verhalten. Wir essen sehr oft sehr gut. Und dennoch ist es jedes Mal wieder ein ganz besonderes Ereignis. So auch das Mittagessen bei Didi.


Wir haben noch Verabredungen in Campo Grande, daher müssen wir nach dem Mittagsmahl aufbrechen. Wir kommen aber wieder. Versprochen.


KINDERGEBURTSTAG

Im Haus neben uns wohnt eine sympathische junge Familie, deren Tochter dieser Tage 1 Jahr alt wurde. Zu dem zugehörigen Fest werden wir freundlicherweise eingeladen. Nun, was erwartet man aus deutscher Sicht bei einem Geburtstagsfest für ein einjähriges Kind? Drei, vier andere Kinder, höchstens, Omas, Opas, vielleicht noch ein paar Tanten und Onkel.


Tatsächlich werden wir Teil eines aufwändig gestalteten Fests mit weit über 50 Gästen. Tage vorher wird von morgens bis abends gebacken und geschmückt.


So erfahre ich, dass es hierzulande üblich ist, gerade den ersten Geburtstag eines Kindes in derart großem Stil zu begehen. Je nach persönlicher Vorliebe und Größe des Budgets wird auch schon mal eine entsprechend spezialisierte Firma engagiert, um die Feierlichkeiten auszurichten. Bliebe noch zu erwähnen, dass gegen Mitternacht Schluss war.


Ich wünsche Euch allen die nötige Ausdauer für diesen nicht enden wollenden Winter.

Donnerstag, 4. März 2010

Donnerstag, 4. März 2010

RIO DE JANEIRO - CIDADE MARAVILHOSA

Freitag, 26. Februar 2010


Rio de Janeiro. Endlich. Brasilien ohne Rio, das wäre wie … Bayern ohne München, wie München ohne Oktoberfest, wie Fußballweltmeisterschaft ohne Brasilien, … - also mit einem Wort: undenkbar.


Aber noch ist es nicht so weit. Gefühlte 10.000 Dinge sind vorher zu erledigen. Meine Mama anrufen und ihr zum Geburtstag gratulieren. Den Hund baden und mit Fön trocknen, bevor er zu unseren lieben Verwandten abgeschoben wird, Proviant für die Reise richten usw. usf.


Das Timing stimmt. Die Kinder kommen gerade aus dem Klassenzimmer, da stehen Oriana und ich auch schon mit laufendem Motor vor der Schule, die gepackten Koffer im Kofferraum. Die Schule liegt praktischerweise auf dem Weg zum Flughafen. Der Check-in ist in wenigen Minuten erledigt. Es wird unser erster Flug mit der noch recht neuen Fluglinie „Azul“, zu Deutsch „blau“ werden.


Bis vor knapp zehn Jahren hießen die brasilianischen Fluggesellschaften in Brasilien VARIG, Teil der Star-Alliance mit Lufthansa, und VASP. Damals war Fliegen eine exklusive Angelegenheit. Dann geriet der Markt in Bewegung. TAM und GOL betraten die Bühne. Die Preise fielen. Erst verschwand VASP vom Markt, vor kurzem auch VARIG, deren Reste kurzerhand von GOL aufgekauft wurden. Hinzu kamen OceanAir und Azul.


Letztere ist eine Gründung eines US-Amerikaners, der seine ersten Jahre in Brasilien verbrachte. Als junger Erwachsener kehrte er für ein paar Jahre zurück – als mormonischer Missionar. Später war er erfolgreich als Reiseveranstalter und Gründer von Fluglinien in den USA, zuletzt von JetBlue.


2008 dann Azul in Brasilien. Rio de Janeiro sollte der „Hub“ werden. Doch die etablierten Konkurrenten TAM und GOL waren von dieser Vorstellung gar nicht „amuzed“ und überzeugten den Gouverneur davon, das auch so zu sehen. Also ließ Azul sich in Campinas nieder, wo sie mit offenen Armen aufgenommen wurden.


Die Gesellschaft pflegt ihr Image, das da lautet: „Wir sind anders.“ Eine Besonderheit besteht darin, dass die Flotte ausschließlich Flugzeuge aus heimischer Produktion aufweist. Brasilien besitzt zwar keine eigene Automarke, aber sehr wohl eigene Flugzeuge, die weltweit geschätzt und verkauft werden: die Jets von EMBRAER. Nach vielen Aufs und Abs und Beinahepleiten begann Mitte der 1990er Jahre die Entwicklung zu einem Weltkonzern. Der Schlüssel zum Erfolg bestand in der geschickten Positionierung: die Konzentrierung auf Jets mit 50 bis 100 Sitzplätzen – ein Marktsegment, welches zu jenem Zeitpunkt nicht bedient wurde, von den gerade entstehenden Regionalfluglinien jedoch nachgefragt wurde. Anfang des Jahrtausends konnte EMBRAER sogar Air Canada als Kunden gewinnen, und das als Nachbarn des Rivalen Bombardier.


Nun also unser erster Flug mit Azul. Der Preis schont das Budget. Umgerechnet etwa 150€ pro Person für die Strecke Campo Grande – Rio, hin und zurück. Entfernung ca. 1.400 km.


Pünktlich heben wir ab. Eine gute Stunde und eine Zeitzone später landen wir in Campinas, einer in Europa weitgehend unbekannten Millionenstadt, etwa 100 km von São Paulo entfernt. Auf dem Flughafen geht es zu wie auf einem Busbahnhof. Die auf ihren Abflug wartenden Passagiere sind allesamt in einer großen Halle versammelt. Nach einer Stunde geht es weiter. Etwa 40 Minuten trennen uns nun noch von Rio de Janeiro.


Beim Anflug ist die „cidade maravilhosa“, die „wunderbare Stadt“, bereits in Dunkelheit gehüllt und hell erleuchtet. Deutlich zu erkennen ist die gut 13 km lange Brücke, welche die weiträumige Guanabara-Bucht überspannt. Wir landen auf dem kleinen, dem Inlandsflughafen Santos Dumont, benannt nach dem brasilianischen Luftfahrtpionier, dem nach einhelliger Überzeugung jener Ruhm zusteht, welcher den Gebrüdern Wright zuteil wurde.


Dass ich kleine Flughäfen mag, erwähnte ich bereits an früherer Stelle. Dieser hier ist zwar deutlich größer als „unser“ Flughafen in Campo Grande, aber immer noch sehr überschaubar. Die Zahl der Gepäckbänder beläuft sich auf vier. Nach wenigen Minuten sind wir im Besitz all unserer Habseligkeiten.


Und da kommt uns auch schon mit einem strahlenden Lächeln und offenen Armen Wagner entgegen. Namen, die andernorts Nachnamen sind, werden in Brasilien schon mal als Vornamen vergeben. Wagner also ist der Sohn von Aliete, ihres Zeichens Cousine von Orianas Vater. Folglich ist Wagner Orianas, und damit auch mein Cousin.

Wagner ist ein echter „carioca“. So heißen jene, welche behaupten können, in Rio de Janeiro geboren zu sein. So wie meine Frau. Als sie 11 war, zog die Familie weg. Die Erinnerung ist daher schon einigermaßen verblasst.


In Rio ist ein Auto eher hinderlich. Es gibt zwei U-Bahn-Linien („metrô“), unzählige Busse und mehrere zehntausend Taxis zu recht erschwinglichen Konditionen. Demgegenüber sind Parkplätze extrem knapp. Also lieber kein Auto. Das sieht auch Wagner so. Wenn er allerdings, wie gerade diese Woche, ein paar Tage frei hat und die Stadt verlassen will, dann mietet er sich einfach eines. So wie diese Woche. Daher kann er uns vom Flughafen abholen und zum Hotel bringen.


Natürlich würde er uns bei sich aufnehmen. Die brasilianische Gastfreundschaft ist unübertroffen.

Doch die räumlichen Verhältnisse lassen dies beim besten Willen nicht zu. Bei geschätzten 12 Millionen Einwohnern des Ballungsraums Rio de Janeiro bleibt halt pro Person nicht so viel übrig.


Das "Scorial Rio Hotel" ist um die Ecke von Wagner und Tante („tia“) Alietes Wohnung, im Stadtteil Flamengo, der Heimat des aktuellen und gleichnamigen brasilianischen Fußballmeisters.


Eine Stunde später erwartet uns Tia Aliete mit einem unwiderstehlichen Abendessen: Reis, Fisch Salat. Ach ja, die Freude über das Wiedersehen ist auch groß. Gut gefüllt betten wir uns zur Ruhe. Der nächste Tag hält mehrere 5-Sterne-Attraktionen für uns bereit.


Samstag, 27. Februar 2010


Der Wecker klingelt um 7 Uhr. Der frühe Vogel fängt den Wurm. Wir sind ja schließlich nicht zu unserem Vergnügen hier.


Noch vor dem Frühstück fahre ich in den zehnten Stock. Dort, auf dem Dach, finde ich, wie versprochen, einen Swimming-Pool vor. Als Zugabe gibt es gleich noch einen Blick auf den „Cristo Redentor“, hoch oben auf dem Corcovado.


Die erste Bedrohung für unseren ambitionierten Zeitplan kommt in Gestalt eines überbordenden Frühstücksbuffets mit unwiderstehlichen Köstlichkeiten daher. Das alles zu probieren braucht nun mal seine Zeit.


Schließlich sind wir im Taxi unterwegs zur Talstation jener Zahnradbahn, welche uns auf den gut 700 Meter hohen Corcovado bringen soll, auf dem die weltberühmte Christus-Statue mit ausgebreiteten Armen die Besucher der Stadt begrüßt.


Der Karneval ist vorbei, dennoch sind offenbar nach wie vor viele Touristen in der Stadt. Unsere Tickets haben bekommen wir zügig, allerdings erst für eine Fahrt in zwei Stunden. Was machen wir nun?


Flexibel wie wir sind, winken wir ein weiteres Taxi heran und geben Anweisung, uns zum Botanischen Garten („Jardim Botânico“) zu bringen. Zehn Minuten später sind wir dort. Dieses grüne Paradies wurde vor gut 200 Jahren vom damaligen portugiesischen König Johann VI („Dom João VI“) in Auftrag gegeben. Kurz vorher war er vor dem in unfreundlicher Absicht heranstürmenden Napoleon in Brasiliens damalige Hauptstadt Rio de Janeiro geflüchtet.


Dieser Garten verströmt eine wunderbar angenehme Atmosphäre, mit seinen von Palmen gesäumten Alleen, Bäumen jeglicher Größe und Form, Wasserfällen, Springbrunnen und Pavillons.


Rechtzeitig zur Abfahrt unserer Bahn sind wir wieder zurück an Ort uns Stelle. Ein babylonisches Sprachengewirr ist auszumachen. Mein brasilianischer Sitznachbar fühlt sich unvermittelt fremd im eigenen Land.


Die Fahrt ruft Erinnerungen an die Heidelberger Bergbahn wach. Zwanzig Minuten und 700 Höhenmeter später dürfen wir zu Füßen der 38 m hohen Christusstatue einen atemberaubenden Blick auf große Teile von Rio genießen. Uns zu Füßen liegen der Zuckerhut, die Strände von Copacabana und Ipanema, das Fußballstadion Maracanã, die moderne Kathedrale und vieles mehr.


Bei diesem Panorama achtet man schon mal nicht so genau, wo man hin tritt. Dies kann gefährlich werden für am Boden auf dem Rücken liegende Fotografen, welche versuchen, den ganzen „Cristo Redentor“, den „Christus Erlöser“ einzufangen.


Die Idee, in dieser exponierten Lage eine Christusstatue zu errichten, entsteht im neunzehnten Jahrhundert, zu Zeiten des Kaisserreichs („império“). Doch dann kommt, 1898, erst mal die Republik und vollzieht die Trennung von Staat und Kirche. 1922, anlässlich des hundertjährigen Jubiläums der Unabhängigkeit Brasiliens, entsteht eine Art Bürgerinitiative für die Errichtung einer Christusstatue, welche 20.000 Unterschriften sammelt und diese dem damaligen Präsidenten überreicht. Noch im selben Jahr wird der Grundstein gelegt. Bis das fertige Monument schließlich eingeweiht werden kann, vergehen weitere neun Jahre.


Zufrieden und mit visuell gesättigt treten wir die Rückfahrt an.


Nächste Station: Zuckerhut („Pão de Açúcar“). Es verfestigt sich der Eindruck, dass offenbar die ganz große Zahl von Rios Taxifahrern es ehrlich mit ihren Kunden meint. Stets wird unaufgefordert der Taxameter eingeschaltet, nicht bestellte Stadtrundfahrten finden nicht statt.


Nanu? Die Kasse an der Seilbahn, an der vor gut 30 Jahren Roger Moore alias James Bond schon herumturnte, ist praktisch leer. Also dann, her mit den Tickets. Erst aber müssen wir etwas essen.


Und siehe da: Wenige Schritte entfernt von einer der größten Touristenattraktionen Brasiliens, allerdings nicht in dessen Sichtweite, finden wir ein kleines feines Restaurant mit „comida a quilo“, wo man also sic nach Herzenslust von einem Buffet bedient und das Ergebnis der Auswahl wiegen lässt und entsprechend dafür bezahlt.


Transparenz ist halt immer gut. Auch beim Essen. Was Du siehst, ist was Du isst. Feine Sache. Derart gut genährt sind wir für die Fahrt mit der Seilbahn gerüstet.


Dem ca. 370 m hohen Zuckerhut nähert man sich in zwei Etappen. Die erste Gondel bringt uns auf den vorgelagerten „Morro da Urca“, den Hügel des Stadtteils Urca. Dort hat sich ein Ort für Kultur, Musik und Kino etabliert. Der Ausblick von hier oben ist schon mal ordentlich. Doch unser Ziel liegt höher.


Ein Schild im Inneren der zweiten Gondel offenbart, dass hier Technik aus der Schweiz („Suiça“) im Einsatz ist. Nun ja – in den knapp hundert Jahren ihres Bestehens ist kein einziger Unfall zu verzeichnen. Ist dann doch irgendwie beruhigend.




Der Ausblick von der Spitze des Zuckerhuts lässt keine Wünsche offen. Hier die Guanabara-Bucht, dort der weltbekannte Copacabana-Strand. Gäbe es Rio nicht, man müsste es glatt erfinden.


Wieder unten angekommen, nehmen wir – natürlich – wieder ein Taxi. Bitte zur Copacabana. Wir geraten an einen sehr gesprächigen und offenbar auch sehr geschäftstüchtigen Taxifahrer. Er schwärmt wortreich von einem Aussichtspunkt, den man gesehen haben muss. Nur wenige Kilometer entfernt. Also gut, dann mal los. Wir biegen in die Avenida Atlântica ein, der Straße entlang der Copacabana. Ein Hotel reiht sich an das nächste. Eine Augenweide ist die Fassade des ehrwürdigen „Copacabana Palace“.


Es schließt sich der Strand von Ipanema an. Dort lebte jenes Mädchen namens Heloisa, genannt „Helô“, welches Tom Jobim und Vinicius de Moraes zu dem weltbekannten Lied „The Girl from Ipanema“ inspirierte.

Heute ist Ipanema ist einer der Treffpunkte für Schwule und Lesben. Rio de Janeiro erhielt kürzlich eine Auszeichnung als das beste Reiseziel für Schwule und Lesben weltweit. Nach Rios Bürgermeister Eduardo Paes ist dies ein weiterer Beweis für die Gastfreundschaft der Bevölkerung.


Und schon sind wir am Strand von Leblon, an dessen Ende sich die Wellen an den Felsen brechen. Der versprochene Ausblick ist ok. Andererseits ist es bei diesem Szenarien auch sicher schwer, einen schlechten Ausblick zu finden. Wir fahren zurück und steigen an der Copacabana aus, wo wir die Füße ins Wasser strecken. Verwöhnt und verweichlicht von dem wohlig warmen Meerwasser von Salvador da Bahia, empfinden wir die hier vorherrschenden geschätzten 23 Grad als definitiv zu kalt zum Baden. Stattdessen schlendern wir entspannt weiter in dem Bewusstsein, am möglicherweise berühmtesten Strand der Welt zu sein.


Der Tag neigt sich dem Ende zu. Gegen 18 Uhr ist es dunkel. Also dann zurück zum Hotel. Wieder ein gesprächiger Taxifahrer. Er will uns jedoch nichts verkaufen, sondern uns lediglich davon überzeugen, dass früher alles viel besser war. So, so. Das Gespräch verläuft recht einseitig. Wir sind in Gedanken noch im Jardim Botânico, auf dem Corcovado, dem Pão de Açúcar, an der Copacabana.


Entspannen („relaxar“) im Hotel. Füße hochlegen. Duschen. Die schwierige Entscheidung treffen, wo wir zu Abend essen werden. Die Wahl fällt auf „Catete Grill“. Catete ist der Name eines Stadtteils, der an Flamengo grenzt. Zu Fuß in wenigen Minuten zu erreichen.


Wiederum ein Self-Service-Restaurant, dieses Mal jedoch der feineren Art. Das Speisenangebot umfasst reicht von gegrillten Fleischstückchen verschiedenster Art und Größe über Fisch, Shrimps („camarão“) bis hin zu Sushi. Da natürlich Salate, Beilagen etc.


So geht ein erlebnisreicher Tag zu Ende. Als ich vor der Nachtruhe beiläufig die Frage stelle, ob wir am folgenden Tag wieder um 7 Uhr aufstehen wollen, ernte ich Reaktionen zwischen blankem Unverständnis und offener Meuterei. Also gut. Wir einigen und auf 8 Uhr.


Sonntag, 28. Februar 2010


Die realistische Aussicht auf ein weiteres opulentes Frühstück hilft beim Aufstehen. Folgende Speisensequenz beginnt sich abzuzeichnen: Erst reichlich Obst – Mango, Ananas, Melone etc. Dann Rührei mit Bacon und Toast. Schließlich Käse und Marmelade („Rómeo & Julieta“) sowie das eine oder andere süße Teilchen.


An diesem sonnigen Vormittag wollen wir zunächst den Flamengo-Park kennen lernen, der sich quasi vor unserer Hoteltür erstreckt. Das Mittel der Wahl dazu hierzu ist eine Führung auf einem offenen Elektroauto („carro elétrico“). Cláudio, unser Chauffeur und kundiger Führer, bringt uns die Geschichte dieses gut 1 km² großen Parks am Atlantikstrand nahe.


Vor einhundert Jahren noch gehört das Areal dem Meer. Dann wird der Plan gefasst, hier mit Erde aufzuschütten, um die Nord-Süd-Verbindungsstraße verbreitern zu können. Dann betritt die Architektin und Landschaftsgestalterin Carlota de Macedo Soares die politische Bühne und überzeugt den damaligen Gouverneur davon, hier einen Park zu errichten. Prompt erhält sie den Auftrag für dieses Projekt. Mit viel Weitblick und diplomatischem Geschick führt sie nicht nur dieses Werk zum Erfolg, sondern erwirkt auch, dass der neugeschaffene Park sofort unter den Schutz der nationalen Denkmalschutzbehörde gestellt wird, um Spekulanten gar nicht erst in Versuchung zu führen.


Ein Gutteil der Führung ist den etwa 200 Arten von Bäumen, Palmen, Sträuchern und Blumen aus allen Teilen der tropischen Welt gewidmet. Mit seiner typisch brasilianischen Art – freundlich, sympathisch, herzlich mit einem Lächeln, das authentisch ist und nicht Aufgesetztes hat – macht Cláudio diese Führung zu einem echten Highlight.


Unser weiterer Weg führt uns zu „Oi Futuro“, wörtlich „Hallo Zukunft“. Das Wörtchen „oi“ bedeutet so viel wie „hallo“, ist aber passenderweise auch der Name einer der großen Telekommunikationsunternehmen Brasiliens. „Oi Futuro“ also ist eine Art Kulturzentrum für Technologie und Kommunikation, wo deren Vergangenheit und Zukunft in sehr lebendiger Weise dargestellt werden. So sind auch die Heranwachsenden unter uns zu begeistern.


Mittagessen. Wieder im „Catete Grill“. Wieder sehr gut. Wieder sehr reichlich. Ich beginne zu ahnen, dass Sonderschichten im Fitnessstudio auf uns zukommen. Ja, ja, aber nicht jetzt.


Mittlerweile haben Regenwolken die Vorherrschaft am Himmel errungen. Wir setzen auf Museen. Zu Fuß erreichen das „Museu da República“, den Sitz nahezu aller brasilianischen Präsidenten seit Beginn der Republik 1889, bis zur Verlagerung der Hauptstadt nach Brasília 1960.


Der Palast lässt zunächst ein Portugiese erbauen, der während der Kaiserzeit mit Sklavenhandel und Kaffeeanbau ein großes Vermögen erworben hat. Weil er einen Teil davon in den Ausbau der Eisenbahn investiert, wird er vom Kaiser Dom Pedro II. zum Baron Nova Friburgo geadelt. Das Anwesen geht durch mehrere Hände, bis schließlich die junge Republik es erwirbt. Der Hauch der Geschichte ist deutlich spürbar, insbesondere im Schlafgemach von Gétulio Vargas, jenes Präsidenten, welcher sich dort mittels einer Pistole vom Leben zum Tod beförderte. Insgesamt 18 Jahre lang, in zwei Etappen stand er an der Spitze des Landes. Dann schien seine Zeit abgelaufen. Opposition und Presse drängten ihn zum Rücktritt. Sein Abgang hatte durchaus etwas Theatralisches, wählte er doch die Bartholomäusnacht für seinen Freitod.


Wir beschließen die heutige Bildungsoffensive mit einem kurzen Besuch des „Museu Hstórico Nacional“. Dort wird der Besucher u.a. über den „Vertrag von Tordesillas“ informiert. Und das war so: 1494, als zwei Jahre nach Kolumbus’ Entdeckungsreise, teilen Spanien und Portugal den in seiner vollen Größe noch unentdeckten amerikanischen Kontinent schon mal unter sich auf. Und zwar auf persönlichen Wunsch des Herrn Papstes. Danach wurde eine Nord-Süd-Linie gezogen, 1.770 km westlich der Kapverdischen Inseln. Alle Gebiete westlich dieser Linie sollten Spanien gehören, der Rest den Portugiesen. Wäre es bei dieser Einteilung geblieben, so wäre der größte Teil Brasiliens, incl. Campo Grande, heute spanisch. Hut 150 Jahre später wurde der Vertrag aufgehoben, und die Portugiesen konnten sich den Rest Brasiliens unter den Nagel reißen.


Montag, 1. März 2010


Regen. Und das am Geburtstag. Heute vor 445 Jahren wird die Stadt Rio de Janeiro gegründet. Ob es damals auch regnete, ist nicht bekannt. Für den Namen der Stadt sind übrigens zwei mögliche Erklärungen im Umlauf. Bezüglich „Janeiro“ ist man sich einig. Am 1. Januar 1502 kam der erste Portugies hier vorbei. So weit so gut. Nur gibt es weit und breit keinen Fluss („rio“). Erklärung Nummer eins besagt, dass die Portugiesen die ca. 20 km tiefe Guanabara-Bucht fälschlicherweise für eine Flussmündung gehalten haben. Erklärung Nummer zwei führt an, dass das Wort „rio“ zu jener Zeit nicht nur Fluss, sondern auch Bucht bedeutete. Wie dem auch sei – für einen Umbenennung ist es jetzt, wenige Jahre vor den Olympischen Spielen, definitiv zu spät.


Was macht man in Rio bei Regen? Man kann zum Beispiel mit der Straßenbahn fahren. Im Stadtteil Santa Teresa verkehrt seit über hundert Jahren eine Straßenbahn, die heute vorwiegend Touristen befördert. Ein einzelner gelber Wagen, seitlich offen erklimmt waghalsige Steigungen und enge Kurven. Der Höhepunkt kommt bald nach Abfahrt: die Überquerung des noch aus der Kolonialzeit stammenden Äquadukts von Lapa, die Bögen von Lapa („Arcos da Lapa“). Hier blickt man knapp 20 m senkrecht in die Tiefe. Nicht alle Familienmitglieder sind von dieser Aussicht angetan. Der Fahrer dieses Vehikels hat stets einen Adjutanten bei sich. Dessen Aufgabe ist es, wie vor hundert Jahren mit Hilfe einer Eisenstange die mechanischen Weichen zu stellen.


Nach so viel Abenteuer bereits am Vormittag steht der Sinn nach Entspannung für Leib und Seele. Ein hierfür taugliches Ziel ist die vor knapp 150 Jahren im Jugendstil errichtete „Confeitaria Colombo“. Heiße Schokolade, erlesene Tortenstückchen, in einem stilvollen Ambiente. Schon ist das Stimmungsbarometer wieder am oberen Anschlag.


Unser Besuch in der wunderbaren Stadt, der „Cidade Maravilhosa“ neigt sich dem Ende zu. Die letzten Stunden nutzen wir für einen Besuch einer weiteren Tante von Oriana, welche sich gerade von einer Operation erholt.

So sind wir dann auch bereits wieder am Flughafen Santos Dumont. Drei herrliche Tage liegen hinter uns. Rio ist eine Reise wert. Auch zwei.


Was sonst noch geschah


Während wir uns derart vergnügen, bebt in Chile die Erde und – was wir erst später erfahren – gehen über Campo Grande die stärksten Regenfälle der letzten 5 Jahre nieder. Innerhalb von anderthalb Stunden fallen knapp 10 cm Regen. Straßen werden überschwemmt, zum Teil weggespült, Autos und Gebäude zum Teil schwer beschädigt. Der Bürgermeister ruft den Notstand aus. Wir haben Glück. Unser Haus steht noch. Das Wasser hat uns verschont.