Mittwoch, 11. November 2009

Mittwoch, 11. November 2009

SINGEN WIR IM SCHEIN DER KERZEN


Dienstagabend, 21 Uhr. Plötzlich ist alles dunkel. Stromausfall. Das erste Mal seit unserer Ankunft vor gut einhundert Tagen. Die Hochhäuser ragen als dunkle Säulen in den Nachthimmel. Wie gut, dass wir nicht im siebzehnten Stock wohnen und nun zu Fuß im Schweiße unseres Angesichts unser Zuhause erklimmen müssen.


Ein gut sortierter Haushalt, also auch der unsere, verfügt über Kerzen und Streichhölzer. Da kommt mir, da auch hierzulande die Weihnachtsdekoration in Gang kommt, dieses Kinderlied in den Sinn: „Singen wir im Schein der Kerzen…“. Voradventszeit bei dreißig Grad. 21:57 Uhr. Licht an. Ende der Kerzenscheinromantik.


Am nächsten Morgen erfahre ich, dass es sich keineswegs nur um einen lokalen Blackout gehandelt hat. Vielmehr waren der gesamte Süden und zentrale Westen inklusive Sao Paulo, Rio de Janeiro und Brasilien betroffen. Insgesamt 40 Millionen Menschen. In Rio de Janeiro gingen die Lichter sogar erst nach Mitternacht wieder an.


Die Ursache des Kollapses befand sich offenbar im Dreiländereck Brasilien-Paraguay-Argentinien: Das Wasserkraftwerk Itaipu fiel wohl aus. Und das ist schließlich nicht irgendeine Anlage. Bis zur Fertigstellung des Drei-Schluchten-Staudamms in China war es das größte Wasserkraftwerk der Welt mit einer Leistung von 14.000 MW. Das ist viel. Sehr viel. Etwa so viel wie 70% der Gesamtleistung aller (!) aktiven Kernkraftwerke in Deutschland.


PACK DEN ZUCKER IN DEN TANK

Wie ich bereits früher erwähnt habe, fahren in Brasilien die Autos zu einem erheblichen Teil mit Alkohol, genauer: Ethanol, hergestellt aus heimischem Zuckerrohr. Inzwischen weiß ich mehr über dieses Thema, insbesondere über die CO2-Bilanz.


Bei der Produktion (Anbau, Ernte, Verarbeitung, Transport) von 1000 Liter Ethanol werden 6.615 kg CO2 emittiert. Bei der Verbrennung in Motoren noch einmal 1.520 kg. Macht zusammen 8.135 kg. Diese Menge auf den gefahrenen Kilometer umgerechnet wäre ein Vielfaches dessen, was man heutzutage mit halbwegs schlechtem Gewissen sich zugesteht.


Aber: Während des Pflanzenwachstums werden 7.650 kg CO2 aus der Atmosphäre absorbiert. Zusätzlich wird aus Produktionsabfällen noch Elektrizität erzeugt, wodurch noch einmal 225 kg CO2 vermieden werden. Zusammen also 7.875 kg.


Die Erzeugung und der Verbrauch von 1000 Liter Ethanol führen netto also zu einer CO2-Emission von 260 kg. Da der Spritverbrauch eines Autos mit Alkohol ca. 30% höher ist, setzen wir mal 10 Liter pro 100 km an. Wir landen damit bei einem CO2-Emissionswert von 26 g/km. Nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass selbst der deutsche Bahnfahrer knapp 50 g/km produziert.


Mittlerweile kann Brasilien auf 35 Jahre Erfahrung in Sachen Biotreibstoff zurückblicken. Was am Anfang ein skeptisch beäugtes Projekt war, dem kaum Erfolgsaussichten eingeräumt wurden, so findet dieser alternative Treibstoffkreislauf inzwischen weltweit Beachtung.


Auch die USA produzieren mittlerweile in großem Stil Ethanol – allerdings nicht aus Zuckerrohr, sondern aus Mais. Kleiner Schönheitsfehler dabei: Während bei Ethanol aus Zuckerrohr das Verhältnis von gewonnener Energie zu aufgewendeter Energie 9,3 beträgt, liegt es bei Ethanol aus Mais gerade mal bei 1,4. Mit anderen Worten: Zur Gewinnung von Alkohol aus Mais muss ein Vielfaches mehr an Energie aufgewendet werden als bei Zuckerrohr.


Nun sind Biotreibstoffe ja nach anfänglicher Euphorie in Misskredit geraten, da in manchen Teilen der Welt Lebensmittelverknappung die Folge war. Für Brasilien gilt dieses Argument nicht. Derzeit werden nämlich gerade mal 8 Millionen Hektar für Zuckerrohranbau genutzt. Das ist zwar einerseits etwas mehr als die Fläche von Bayern, beläuft sich andererseits aber nur auf knapp 1% des brasilianischen Territoriums bzw. ca. 2,5% der nutzbaren Agrarfläche. Brasilien kann also problemlos genügend Ethanol und Lebensmittel produzieren.


Ein weiteres Argument gegen den Zuckerrohranbau ist die damit einhergehende Regenwaldzerstörung. Tatsächlich ist es so, dass Rinderzüchter und Sojaproduzenten die Hauptübeltäter sind, Zuckerrohrpflanzer dagegen kaum. Nicht weil sie bessere Menschen wären, sondern weil die Ethanolproduktion sich nur in der Nähe der Konsumenten rentiert. Und die leben nicht am Amazonas, sondern im Südosten, Nordosten und zentralen Westen des Landes.


Damit ist die Diskussion um die soziale und ökologische „Sauberkeit“ natürlich noch lange nicht erschöpft. Da wären etwa noch die bisweilen äußerst prekären Arbeitsverhältnisse auf den Zuckerrohrplantagen.

Auf der anderen Seite sollten wir Europäer nicht päpstlicher als der Papst sein wollen. Wenn der deutsche Autofahrer immer genau wüsste, woher das Erdöl für sein Benzin an der Zapfsäule kommt, und unter welchen Begleitumständen es gefördert wurde, würde ihm gar manches Mal die Freude am Fahren ordentlich vergehen.


P.S.: Die Firma "Agile" (www.agilesolutions.com) - bei meinen SAP-Kollegen bestens bekannt - hat auf Basis von SAP-All-In-One eine Branchenlösung für die Ethanol-Industrie entwickelt und scheint damit ganz gute Geschäfte zu machen.


DER GRÜNE RIESE ERWACHT

Einige der im vorigen Abschnitt zitierten Informationen entstammen dem vor wenigen Monaten erschienenen Buch „Wirtschaftsmacht Brasilien – Der grüne Riese erwacht“. Der Autor Alexander Busch ist Journalist, lebt seit 16 Jahren in Brasilien und beliefert u.a. die „Wirtschaftswoche“ und das „Handelsblatt“. Da konnte ich mal sehen, was ich alles nicht über Brasilien wusste.


Amazon.de hat mir das Werk zugeschickt, freundlicherweise ohne Mehrwertsteuer zu berechnen. Die muss ich bei meiner Rückkehr nach Deutschland dann wohl nachzahlen. Hoffentlich vergesse ich das nicht.


WEITERBILDUNG (II)

Nach dem Kommunikationskurs, von dem ich ja ausführlich berichtete, habe ich noch weitere Kurse besucht. In dieser Woche mache ich einen Crashkurs zum Thema Buchführung („Contabilidade“). Eine äußerst wichtige Materie – auf jeden Fall. Dennoch hält sich meine Begeisterung dafür in engen Grenzen.


Mein heimlicher Beweggrund ist ein anderer. Ich wollte mal sehen, wie Brasilianer („In Brasilien ist alles locker.“) mit einem derart trockenen Stoff umgehen. Die Antwort auf diese Frage bekam ich dann bereits, als der Referent („Instrutor“) sich vorstellte. Sein Nachname: Schneider. Hätte ich mir ja denken können. Das überlässt man den Deutschen bzw. deren Nachfahren.


MANGO-ZEIT

Die Mango-Ernte steht unmittelbar bevor. Seit Wochen hängen unzählige Mangos („Mangas“) an unseren beiden Mangobäumen und stellen provozierend ihre rot-grünen Früchte zur Schau. Doch rot-grün reicht nicht. Es muss auch gelb dazukommen, um den Genuss perfekt zu machen. (Das ist jetzt garantiert keine politische Anspielung.)

Jetzt kann es aber nicht mehr lange dauern. Nur noch wenige Tage. Vielleicht schon morgen. Nächste Woche aber auf jeden Fall…


Vielen Dank an alle für die Teilnahme an der Abstimmung über meinen Blog. 72% „Sehr gut“, 8% „Gut“, 20% „Ausbaufähig“. Nicht schlecht für den Anfang, oder?


Ich wünsche allen eine schöne Voradventszeit.

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