Sonntag, 29. November 2009

Sonntag, 29. November 2009

FORMATURA (II)


Die Feierlichkeiten anlässlich der Formatura finden ihren Höhepunkt im Ball („baile“). Für unseren Sohn sollte es ein ganz besonderes Ereignis werden. Doch dazu später.


Wo kann man mal eben 1.500 Menschen zu einem Tanzball zusammenbringen? Die Antwort lautet: In einem Club („clube“). Ein Club ist eine meist weitläufige und ausgedehnte Freizeitanlage, mit Schwimmbecken und Sportplätzen für Fußball, Volleyball und Tennis. Nicht fehlen dürfen natürlich Einrichtungen, die dem leiblichen Wohl dienen.


Zugang zu einem Club haben dessen Mitglieder. Mitglied wird man durch Zahlung einer monatlichen Gebühr. Der älteste Club in Campo Grande stammt aus der Zeit, als es noch kein Fernsehen gab, und heißt folgerichtig „Rádio Clube“, gegründet 1924. Damals lag das Areal weit außerhalb der Stadtgrenze. Mittlerweile hat die wachsende Stadt den Club eingeholt.


Und jener „Rádio Clube“ ist Ort des Geschehens für den Ball. Was wir vorab wussten: Festliche Kleidung ist erwünscht. Essen und Trinken wird es geben, jedoch keine alkoholischen Getränke. Mutter und Sohn werden einen Walzer tanzen. Und: Das Spektakel beginnt so gegen 23 Uhr, also dann, wenn unsereins normalerweise bereits eine ordentliche Bettschwere angehäuft hat.


Der Tag ist erfüllt von einer gespannten freudigen Erwartung. Die Sonne geht unter. Die Vorbereitungen beginnen. Ein letztes Mal die Hemden aufbügeln, die Schuhe blank putzen. Nein, die Krawatte sitzt noch nicht perfekt. Noch einmal neu binden.


Als wir zur angesetzten Zeit am Ort des Geschehens eintreffen, haben wir noch nichts versäumt. Wir finden unseren Tisch in einem luftigen Pavillon unweit der Bühne. Bis Mitternacht füllt sich das Areal nach und nach.


Die Band („banda“) spielt schon mal Musik für die Eltern: Bolero, Salsa, Forró – Salontänze („dança de salão“). Dank einer wunderschönen Frau an meiner Seite, welche über meine tänzerischen Unzulänglichkeiten großzügig hinwegsieht, gelingt es mir, eine ganz ordentliche Figur zu machen.


Der erste Höhepunkt: Der Einzug der Jugendlichen – begleitet von Vater oder Mutter, auf dem Weg zum ersten Walzer. Ob man es glaubt oder nicht: Auch hierzulande ist die „schöne blaue Donau“ ("Danúbio Azul") der Inbegriff des Walzers.



Nun hatte es sich – befördert durch eine gezielte Indiskretion – im Vorfeld des Balles herumgesprochen, dass unser Marcus recht ordentlich Saxofon spielt. So ergab es sich, dass er eingeladen wurde, auf dem Ball eine Kostprobe seines Könnens zu geben. Und zwar unmittelbar nach dem Walzer.


Kurze Hektik. Notenständer aufbauen, Instrument zusammenbauen, Abstimmung mit der Technik. Fertig. Das ist einfacher gesagt als getan. Natürlich zittern die Knie, natürlich ist einem mulmig zumute. Das ist doch klar. Worauf es ankommt, ist, es trotzdem zu tun. Das dabei anfallende Adrenalin sollte für die ganze Nacht reichen. Und Marcus legt eine tolle Vorstellung hin. Der weibliche Teil des Publikums ist ganz besonders angetan.



Der Rest ist schnell erzählt: Es wird getanzt bis 5 Uhr morgens. Dann war „schon“ Schluss. Als wir zuhause ankommen, ist es bereits hell.


SOMMERFERIEN


Das Schuljahr ist nun ja fast zu Ende. In wenigen Tagen beginnen die Sommerferien, welche bis Ende Januar dauern werden. Diese Zeit werden wir für verschiedene Reisen innerhalb von Brasilien nutzen. Zum Auftakt besuchen wir vom 4. bis 13. Dezember Manaus, die Hauptstadt des Bundesstaates Amazonas. Oriana lebte dort einige Jahre lang, dort wir lernten uns kennen.


Den nächsten Eintrag meines Blogs wird es nach unserer Rückkehr aus Manaus geben. Bis dahin wünsche ich allen eine schöne Adventszeit.

Sonntag, 22. November 2009

Sonntag, 22. November 2009

FORMATURA

Das Schuljahr geht zu Ende, in ca. zwei Wochen ist der letzte Schultag. Diese Woche steht ganz im Zeichen der Feierlichkeiten zur „Formatura“ der Neuntklässler. Einer von ihnen ist unser Sohn Marcus. Der Abschluss der neunten Klasse ist streng genommen kein Schulabschluss, jedoch Anlass genug, dieses Ereignis an drei Abenden zu feiern.


Das brasilianische Schulsystem kennt keine unterschiedlichen Schultypen wie sie in Deutschland mit Hauptschule, Realschule und Gymnasium (noch) anzutreffen sind. (Und auch dort, zumindest in Baden-Württemberg, scheinen die Tage der Hauptschule gezählt zu sein.)


Hier also gehen alle Kinder auf die Schule („colégio“). Neun Schuljahre sind verpflichtend vorgeschrieben, zwölf Schuljahre sind möglich. Am Ende des zwölften Schuljahres findet keine besondere Prüfung, wie etwa die Abiturprüfung statt. Das ist auch nicht erforderlich, da das Abschlusszeugnis einer Schule keine Eintrittskarte für eine Hochschule darstellt.


Wer an einer Universität studieren möchte, muss eine Aufnahmeprüfung („vestibular“) bestehen. Und zwar an jeder Universität einzeln. Dass da jene im Vorteil sind, die über das erforderliche Reisebudget verfügen, hat auch die Regierung erkannt und daher eine landesweit einheitliche Schulabschlussprüfung auf den Weg gebracht. Leider gab es vor der Premiere eine undichte Stelle, und der Startschuss musste auf Anfang nächsten Jahres verschoben werden.


Die staatlichen Schulen waren früher mal in guter Verfassung. Heute ist es eher so, dass jeder, der es sich leisten kann, seine Kinder auf Privatschulen schickt. Viele der Privatschulen sind in kirchlicher, d.h. katholischer Trägerschaft. So auch die Schule unserer Kinder.


Und dort findet am Ende der neunten und am Ende der zwölften Klasse die „Formatura“ statt. Das Wort „Formatura“ hat augenscheinlich mit „Formen“ zu tun. Die Kinder werden zu Jugendlichen und schließlich zu jungen Erwachsenen geformt.


Die Feierlichkeiten sind Rituale. Sie geben den Jugendlichen Etappenziele und zeigen ihnen, was sie schon erreicht haben. Sie ermutigen den einen oder anderen, dem die Puste auszugehen droht, weiter durchzuhalten. Außerdem bringt es die Menschen, die an der Erziehung beteiligt sind, zusammen. Sie alle zeigen: „Wir haben Interesse an Euerem Vorwärtskommen und feiern dies mit Euch.“ (Für diese Darstellung geht mein Dank an eine von mir sehr geschätzte Psychologin.)


Und es kommen wahrlich viele Leute zusammen: Ca. 250 Neuntklässler und deren Angehörige. Der Ort des Geschehens, ein Versammlungs-, Konzert-, Theatersaal, bietet geschätzte 1.200 Plätze. Das reicht gerade eben mal so.


Auftakt ist eine Messe („missa“) in diesem Rahmen. Mit fröhlichen Liedern und einem Schulleiter, der während der Predigt mit drahtlosem Mikrofon und raumgreifenden Schritten die große Bühne mit seiner Präsenz erfüllt.

Zwei Tage später dann der offizielle Hauptteil: die feierliche Übergabe der Urkunden. Während bei der Messe noch „lockere“ Kleidung gestattet ist, so ist nun festliches Outfit angesagt: Die Jungs in Anzug und Krawatte, die Mädels in eleganten Kleidern. Die Anbieter von glitzerndem Damenschuhwerk dürften in diesen Tagen ein kräftiges Umsatzplus verzeichnet haben.


Die Bühne ist festlich geschmückt, die Plätze für die Angehörigen gefüllt. Die Zeremonienmeisterin ergreift das Wort. Nach Klassen werden die Schülerinnen und Schüler aufgerufen, unter Applaus einzumarschieren und ihre reservierten Plätze einzunehmen.


Schließlich wird der „Zeremonientisch“ („mesa de ceremônia“) mit den Würdenträgern („autoridades“) bestückt: Der Schulleiter, Lehrkräfte mit besonderen Funktionen, die Chefin der Verwaltung. Zehn Personen insgesamt.

Man möchte meinen, jetzt könne der offizielle Teil beginnen: Diverse Ansprachen, dann die Übergabe der Urkunden. Moment! Wir sind nicht in Deutschland, sondern in Brasilien. Und da darf bei offiziellen Veranstaltungen – auch bei solchen von lokaler Natur – eines nicht fehlen: Die Nationalhymne.


So werden alle Anwesenden gebeten, sich zu erheben und die Hymne mitzusingen. Und alle singen mit. Mit Stolz und Leidenschaft. (Man stelle sich das mal einen Moment lang vor: Eine schulische Veranstaltung in Deutschland wird mit dem Absingen der Nationalhymne eröffnet.)


Und jeder kennt den Text auswändig – bei insgesamt 52 (!) Zeilen in literarischer Sprache wahrlich keine Selbstverständlichkeit. Das brasilianische Schulsystem hat sicherlich große Schwächen – dennoch gelingt es offenbar, jedem Kind die Hymne beizubringen.


An diesem Abend wird im Anschluss daran auch noch die Hymne des Bundesstaates Mato Grosso do Sul gesungen. Da mussten schon einige passen. Schließlich entstand das Bundesland erst vor gut 30 Jahren durch Teilung eines größeren Gebildes. Entsprechend jung dürfte auch die Hymne sein.


Nun also die Ansprachen. Die Befürchtung, dass jeder der anwesenden Autoritäten das Wort ergreifen würde, ist unbegründet. Der Schulleiter, zwei Lehrer, eine Schülervertreterin. Fertig. Endlich die mit Spannung erwartete Übergabe der Urkunden. Da diese zusammengerollt in dünnen zylinderförmigen Gefäßen übergeben werden, hat sich hierfür in der Umgangssprache die Bezeichnung „Strohhalme“ („canudos“) durchgesetzt.


Nacheinander werden die Schülerinnen und Schüler mit Namen auf die Bühne gerufen. Jeder und jede bekommt seinen und ihren großen persönlichen Auftritt: Umarmungen und Wangenküsse, Foto mit dem Lehrer oder der Lehrerin, Applaus. Währenddessen wird der Name in großen Lettern in einem leuchteten Schriftband eingeblendet. Ich bin beeindruckt und, ja, wenn ich ganz ehrlich bin, auch ein wenig gerührt, und stolz, als mein Sohn die Bühne erklimmt.


Vom dritten Teil der Feierlichkeiten, dem Ball, wird noch zu berichten sein.



WACHSTUM

Es wächst allerhand in unserem Garten. Exotische Früchte – aus deutscher Perspektive. Beginnen wir mit der Frucht, die sich keiner hohen Wertschätzung erfreuen kann: der Banane. Nicht dass sie verschmäht würde. Man hat sie zum Fressen gerne. Allerdings wird ihr Wert nicht besonders hoch eingeschätzt. Wenn man etwas besonders preiswert erworben hat, so hat man einen „Preis von Bananen“ („preço de banana“) bezahlt. Bananenstauden haben wir also. Und sie tragen Früchte (s. Foto). Nach der Ernte muss der zugehörige Stamm abgeschnitten werden. Das gefällt mir nicht, muss aber wohl sein – des nachhaltigen Ertrages wegen.


Von den Mangos war bereits die Rede. Sie lassen uns übrigens immer noch warten. Wie im Übrigen auch die Avocados („abacates“) am gleichnamigen Baum. Hierzulande wird die Avocado übrigens als Obst betrachtet. Zum Verzehr schneidet man sie auf, beträufelt sie mit Limonensaft und streut – jetzt kommt’s – Zucker darüber. Schmeckt aber trotzdem.


Nicht zum Essen gedacht, aber in anderer Weise hilfreich ist unsere Aloe Vera („babosa“). Der hiesige Name ist weniger mystisch als der lateinische Name. Er verweist ganz banal darauf, dass beim Anschneiden eine zähe Flüssigkeit heraus rinnt, wie aus einem sabbernden Babymund.


Und dann wäre da noch der Zitronenbaum. Mit Früchten ist mittelfristig nicht zu rechnen, da er von unseren lieben Ameisen nun schon zum zweiten Mal kahlgefressen wurde. Wundersamerweise scheint er aber auch dieses Mal nicht aufzugeben.


Das ist doch ein schönes Motto für die Woche: Niemals aufgeben.

Mittwoch, 11. November 2009

Mittwoch, 11. November 2009

SINGEN WIR IM SCHEIN DER KERZEN


Dienstagabend, 21 Uhr. Plötzlich ist alles dunkel. Stromausfall. Das erste Mal seit unserer Ankunft vor gut einhundert Tagen. Die Hochhäuser ragen als dunkle Säulen in den Nachthimmel. Wie gut, dass wir nicht im siebzehnten Stock wohnen und nun zu Fuß im Schweiße unseres Angesichts unser Zuhause erklimmen müssen.


Ein gut sortierter Haushalt, also auch der unsere, verfügt über Kerzen und Streichhölzer. Da kommt mir, da auch hierzulande die Weihnachtsdekoration in Gang kommt, dieses Kinderlied in den Sinn: „Singen wir im Schein der Kerzen…“. Voradventszeit bei dreißig Grad. 21:57 Uhr. Licht an. Ende der Kerzenscheinromantik.


Am nächsten Morgen erfahre ich, dass es sich keineswegs nur um einen lokalen Blackout gehandelt hat. Vielmehr waren der gesamte Süden und zentrale Westen inklusive Sao Paulo, Rio de Janeiro und Brasilien betroffen. Insgesamt 40 Millionen Menschen. In Rio de Janeiro gingen die Lichter sogar erst nach Mitternacht wieder an.


Die Ursache des Kollapses befand sich offenbar im Dreiländereck Brasilien-Paraguay-Argentinien: Das Wasserkraftwerk Itaipu fiel wohl aus. Und das ist schließlich nicht irgendeine Anlage. Bis zur Fertigstellung des Drei-Schluchten-Staudamms in China war es das größte Wasserkraftwerk der Welt mit einer Leistung von 14.000 MW. Das ist viel. Sehr viel. Etwa so viel wie 70% der Gesamtleistung aller (!) aktiven Kernkraftwerke in Deutschland.


PACK DEN ZUCKER IN DEN TANK

Wie ich bereits früher erwähnt habe, fahren in Brasilien die Autos zu einem erheblichen Teil mit Alkohol, genauer: Ethanol, hergestellt aus heimischem Zuckerrohr. Inzwischen weiß ich mehr über dieses Thema, insbesondere über die CO2-Bilanz.


Bei der Produktion (Anbau, Ernte, Verarbeitung, Transport) von 1000 Liter Ethanol werden 6.615 kg CO2 emittiert. Bei der Verbrennung in Motoren noch einmal 1.520 kg. Macht zusammen 8.135 kg. Diese Menge auf den gefahrenen Kilometer umgerechnet wäre ein Vielfaches dessen, was man heutzutage mit halbwegs schlechtem Gewissen sich zugesteht.


Aber: Während des Pflanzenwachstums werden 7.650 kg CO2 aus der Atmosphäre absorbiert. Zusätzlich wird aus Produktionsabfällen noch Elektrizität erzeugt, wodurch noch einmal 225 kg CO2 vermieden werden. Zusammen also 7.875 kg.


Die Erzeugung und der Verbrauch von 1000 Liter Ethanol führen netto also zu einer CO2-Emission von 260 kg. Da der Spritverbrauch eines Autos mit Alkohol ca. 30% höher ist, setzen wir mal 10 Liter pro 100 km an. Wir landen damit bei einem CO2-Emissionswert von 26 g/km. Nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass selbst der deutsche Bahnfahrer knapp 50 g/km produziert.


Mittlerweile kann Brasilien auf 35 Jahre Erfahrung in Sachen Biotreibstoff zurückblicken. Was am Anfang ein skeptisch beäugtes Projekt war, dem kaum Erfolgsaussichten eingeräumt wurden, so findet dieser alternative Treibstoffkreislauf inzwischen weltweit Beachtung.


Auch die USA produzieren mittlerweile in großem Stil Ethanol – allerdings nicht aus Zuckerrohr, sondern aus Mais. Kleiner Schönheitsfehler dabei: Während bei Ethanol aus Zuckerrohr das Verhältnis von gewonnener Energie zu aufgewendeter Energie 9,3 beträgt, liegt es bei Ethanol aus Mais gerade mal bei 1,4. Mit anderen Worten: Zur Gewinnung von Alkohol aus Mais muss ein Vielfaches mehr an Energie aufgewendet werden als bei Zuckerrohr.


Nun sind Biotreibstoffe ja nach anfänglicher Euphorie in Misskredit geraten, da in manchen Teilen der Welt Lebensmittelverknappung die Folge war. Für Brasilien gilt dieses Argument nicht. Derzeit werden nämlich gerade mal 8 Millionen Hektar für Zuckerrohranbau genutzt. Das ist zwar einerseits etwas mehr als die Fläche von Bayern, beläuft sich andererseits aber nur auf knapp 1% des brasilianischen Territoriums bzw. ca. 2,5% der nutzbaren Agrarfläche. Brasilien kann also problemlos genügend Ethanol und Lebensmittel produzieren.


Ein weiteres Argument gegen den Zuckerrohranbau ist die damit einhergehende Regenwaldzerstörung. Tatsächlich ist es so, dass Rinderzüchter und Sojaproduzenten die Hauptübeltäter sind, Zuckerrohrpflanzer dagegen kaum. Nicht weil sie bessere Menschen wären, sondern weil die Ethanolproduktion sich nur in der Nähe der Konsumenten rentiert. Und die leben nicht am Amazonas, sondern im Südosten, Nordosten und zentralen Westen des Landes.


Damit ist die Diskussion um die soziale und ökologische „Sauberkeit“ natürlich noch lange nicht erschöpft. Da wären etwa noch die bisweilen äußerst prekären Arbeitsverhältnisse auf den Zuckerrohrplantagen.

Auf der anderen Seite sollten wir Europäer nicht päpstlicher als der Papst sein wollen. Wenn der deutsche Autofahrer immer genau wüsste, woher das Erdöl für sein Benzin an der Zapfsäule kommt, und unter welchen Begleitumständen es gefördert wurde, würde ihm gar manches Mal die Freude am Fahren ordentlich vergehen.


P.S.: Die Firma "Agile" (www.agilesolutions.com) - bei meinen SAP-Kollegen bestens bekannt - hat auf Basis von SAP-All-In-One eine Branchenlösung für die Ethanol-Industrie entwickelt und scheint damit ganz gute Geschäfte zu machen.


DER GRÜNE RIESE ERWACHT

Einige der im vorigen Abschnitt zitierten Informationen entstammen dem vor wenigen Monaten erschienenen Buch „Wirtschaftsmacht Brasilien – Der grüne Riese erwacht“. Der Autor Alexander Busch ist Journalist, lebt seit 16 Jahren in Brasilien und beliefert u.a. die „Wirtschaftswoche“ und das „Handelsblatt“. Da konnte ich mal sehen, was ich alles nicht über Brasilien wusste.


Amazon.de hat mir das Werk zugeschickt, freundlicherweise ohne Mehrwertsteuer zu berechnen. Die muss ich bei meiner Rückkehr nach Deutschland dann wohl nachzahlen. Hoffentlich vergesse ich das nicht.


WEITERBILDUNG (II)

Nach dem Kommunikationskurs, von dem ich ja ausführlich berichtete, habe ich noch weitere Kurse besucht. In dieser Woche mache ich einen Crashkurs zum Thema Buchführung („Contabilidade“). Eine äußerst wichtige Materie – auf jeden Fall. Dennoch hält sich meine Begeisterung dafür in engen Grenzen.


Mein heimlicher Beweggrund ist ein anderer. Ich wollte mal sehen, wie Brasilianer („In Brasilien ist alles locker.“) mit einem derart trockenen Stoff umgehen. Die Antwort auf diese Frage bekam ich dann bereits, als der Referent („Instrutor“) sich vorstellte. Sein Nachname: Schneider. Hätte ich mir ja denken können. Das überlässt man den Deutschen bzw. deren Nachfahren.


MANGO-ZEIT

Die Mango-Ernte steht unmittelbar bevor. Seit Wochen hängen unzählige Mangos („Mangas“) an unseren beiden Mangobäumen und stellen provozierend ihre rot-grünen Früchte zur Schau. Doch rot-grün reicht nicht. Es muss auch gelb dazukommen, um den Genuss perfekt zu machen. (Das ist jetzt garantiert keine politische Anspielung.)

Jetzt kann es aber nicht mehr lange dauern. Nur noch wenige Tage. Vielleicht schon morgen. Nächste Woche aber auf jeden Fall…


Vielen Dank an alle für die Teilnahme an der Abstimmung über meinen Blog. 72% „Sehr gut“, 8% „Gut“, 20% „Ausbaufähig“. Nicht schlecht für den Anfang, oder?


Ich wünsche allen eine schöne Voradventszeit.

Dienstag, 3. November 2009

Dienstag, 3. November 2009

MONDBADEN


Es ist 21 Uhr abends und seit knapp zwei Stunden dunkel. Das Thermometer – wenn wir eines hätten – würde vermutlich 30 Grad Celsius anzeigen. Noch einmal schnell in den Pool. Das Wasser dürfte wohl ein paar Grad kühler sein. Hoch über uns der Vollmond. Mondbaden eben.


MINERALBADEN


Es ist Sonntag. Wir stehen um 6 Uhr morgens auf. Das ist nicht so schwer, da es bereits hell und warm ist. Wir wollen raus aufs Land. Ca. 80 Kilometer in östlicher Richtung, entlang der Bahnlinie Richtung Corumbá.


Ziel der Reise ist eine „Chácara“. Ein kleines landwirtschaftliches Anwesen von ca. 12 Hektar. Ein von der Natur begnadetes Fleckchen Erde.



An einem fischreichen Fluss gelegen. Und dann auch noch mit einer Quelle mit Mineralwasserqualität gesegnet. Da dieses edle Wasser im Überfluss vorhanden ist, wird ein großzügiges Schwimmbecken damit gefüllt. Mineralbaden.


Der Besitzer des Anwesens ist bereits pensioniert. Er öffnet seinen „Kindheitstraum“ (so der Name des Anwesens) nur für ausgewählte Gäste. Glücklicherweise kennen wir jemanden, der den Auswahlkriterien genügt.

Mittagessen gibt es natürlich auch.


Bis auf Reis und Bohnen alles aus eigener Produktion. Alles zusammen für umgerechnet 8 EUR pro Person. Getränke extra.


ALLERSELLEN


Während in Deutschland Allerheiligen Feiertag ist, ist es hier der Allerseelentag, also der 2. November („Dia dos Finados“). 32 Grad im Schatten. Zum Friedhof geht man trotzdem. Trauern kann man nicht nur bei nasskaltem Wetter.


NOVEMBERWETTER


Es ist heiß geworden. Abkühlung durch Regen wird erst für Mitte der Woche erwartet. Ich staune darüber, wie gut ich mich an die Hitze gewöhnt habe. Ich dusche bis zu fünfmal pro Tag. Das ist nichts Außergewöhnliches. Das erste Mal nach dem Aufstehen. Das zweite Mal nach dem Besuch der Academia. Das dritte Mal nach dem Mittagessen. Das vierte Mal am frühen Abend. Das fünfte Mal vor dem Schlafengehen.

Trotzdem ist unser Wasserverbrauch geringer als in Deutschland. Ein Duschvorgang hier dauert keine 3 Minuten. Man verwendet dafür hier den Ausdruck „Wasser auf den Körper schütten“ („jogar água no corpo“).


TROPISCHES LEBENSGEFÜHL


Was bestimmt das Lebensgefühl in den hiesigen Breiten? Wärme? Ja. Licht? Ganz bestimmt. Weite? Vermutlich auch. Aber da ist noch mehr. Etwas, das sich nicht in physikalischen Einheiten ausdrücken lässt.

Wenn ich zwischen 6 Uhr und 6:30 Uhr aufstehe, ist es hell und warm. Ich öffne die Tür zum Innenhof. Der Himmel ist groß und weit. Ich begebe mich in das Bad im rückwärtigen Teil des Haus. Ich dusche mit dem Wasser, so wie es aus der Leitung kommt. Künstliches Aufheizen nicht erforderlich. Das einzige Kleidungsstück, welches anschließend den Körper teilweise bedeckt, ist eine „Bermuda“. Zuzüglich Flip-Flops („Chinelos“) natürlich.

Jetzt Kaffee. Handgemacht. Wasser auf dem Gasherd erhitzen, Kaffeepulver („Café brasileiro“) in den Kaffeefilter, aufbrühen. Wieder ein herrlicher Tag.


GRÜNES PLASTIK


Der Gouverneur unseres Bundesstaates Mato Grosso do Sul, André Puccinelli, ist gerade von einer Chinareise zurückgekehrt, deren Ziel es war, Investoren anzuwerben. Im ersten Halbjahr 2009 wurde China zum wichtigsten Handelspartner Brasiliens – mit einem Handelsvolumen von gut 17 Milliarden US-Dollar.


André hieß früher Andrea und ist gebürtiger Italiener. Und er hat seinen chinesischen Gesprächspartnern eine weitere Idee der Zusammenarbeit zwischen Brasilien und China präsentiert: Mato Grosso do Sul liefert Zuckerrohr, und China stellt daraus Polyethylen her, den weltweit meistverwendeten Kunststoff. Das Resultat würde dann „Biopolyethylen“ heißen, oder einfach „Grünes Plastik“ („plástico verde“).


Der Vorteil bestünde in der besseren CO2-Bilanz bei der Herstellung, da auf die Verwendung von Erdöl verzichtet werden könnte. Bei der Entsorgung wäre wohl kein Unterschied.


Es steht jedoch zu befürchten, dass Puccinelli eine „hidden agenda“ verfolgt. Er liegt nämlich seit Monaten im Clinch mit dem Bundesumweltminister Carlos Minc. Es geht dabei um die Frage, ob der Pantanal, eines der weltweit größten Binnensumpfgebiete und eine Region mit atemberaubender „Biodiversität“ für die „wirtschaftliche Nutzung“, namentlich für den Zuckerrohranbau, freigegeben werden soll.


Puccinelli ist vehement dafür, Minc ist dagegen. Der Gouverneur führt die Auseinandersetzung darüber streckenweise sehr weit unter der Gürtellinie. Da Bundesrecht auch hierzulande Landesrecht bricht, besteht noch Hoffnung für den Pantanal.


Ich wünsche Euch allen eine schöne Woche - Novemberwetter hin oder her.