FORMATURA
Das Schuljahr geht zu Ende, in ca. zwei Wochen ist der letzte Schultag. Diese Woche steht ganz im Zeichen der Feierlichkeiten zur „Formatura“ der Neuntklässler. Einer von ihnen ist unser Sohn Marcus. Der Abschluss der neunten Klasse ist streng genommen kein Schulabschluss, jedoch Anlass genug, dieses Ereignis an drei Abenden zu feiern.
Das brasilianische Schulsystem kennt keine unterschiedlichen Schultypen wie sie in Deutschland mit Hauptschule, Realschule und Gymnasium (noch) anzutreffen sind. (Und auch dort, zumindest in Baden-Württemberg, scheinen die Tage der Hauptschule gezählt zu sein.)
Hier also gehen alle Kinder auf die Schule („colégio“). Neun Schuljahre sind verpflichtend vorgeschrieben, zwölf Schuljahre sind möglich. Am Ende des zwölften Schuljahres findet keine besondere Prüfung, wie etwa die Abiturprüfung statt. Das ist auch nicht erforderlich, da das Abschlusszeugnis einer Schule keine Eintrittskarte für eine Hochschule darstellt.
Wer an einer Universität studieren möchte, muss eine Aufnahmeprüfung („vestibular“) bestehen. Und zwar an jeder Universität einzeln. Dass da jene im Vorteil sind, die über das erforderliche Reisebudget verfügen, hat auch die Regierung erkannt und daher eine landesweit einheitliche Schulabschlussprüfung auf den Weg gebracht. Leider gab es vor der Premiere eine undichte Stelle, und der Startschuss musste auf Anfang nächsten Jahres verschoben werden.
Die staatlichen Schulen waren früher mal in guter Verfassung. Heute ist es eher so, dass jeder, der es sich leisten kann, seine Kinder auf Privatschulen schickt. Viele der Privatschulen sind in kirchlicher, d.h. katholischer Trägerschaft. So auch die Schule unserer Kinder.
Und dort findet am Ende der neunten und am Ende der zwölften Klasse die „Formatura“ statt. Das Wort „Formatura“ hat augenscheinlich mit „Formen“ zu tun. Die Kinder werden zu Jugendlichen und schließlich zu jungen Erwachsenen geformt.
Die Feierlichkeiten sind Rituale. Sie geben den Jugendlichen Etappenziele und zeigen ihnen, was sie schon erreicht haben. Sie ermutigen den einen oder anderen, dem die Puste auszugehen droht, weiter durchzuhalten. Außerdem bringt es die Menschen, die an der Erziehung beteiligt sind, zusammen. Sie alle zeigen: „Wir haben Interesse an Euerem Vorwärtskommen und feiern dies mit Euch.“ (Für diese Darstellung geht mein Dank an eine von mir sehr geschätzte Psychologin.)
Und es kommen wahrlich viele Leute zusammen: Ca. 250 Neuntklässler und deren Angehörige. Der Ort des Geschehens, ein Versammlungs-, Konzert-, Theatersaal, bietet geschätzte 1.200 Plätze. Das reicht gerade eben mal so.
Auftakt ist eine Messe („missa“) in diesem Rahmen. Mit fröhlichen Liedern und einem Schulleiter, der während der Predigt mit drahtlosem Mikrofon und raumgreifenden Schritten die große Bühne mit seiner Präsenz erfüllt.
Zwei Tage später dann der offizielle Hauptteil: die feierliche Übergabe der Urkunden. Während bei der Messe noch „lockere“ Kleidung gestattet ist, so ist nun festliches Outfit angesagt: Die Jungs in Anzug und Krawatte, die Mädels in eleganten Kleidern. Die Anbieter von glitzerndem Damenschuhwerk dürften in diesen Tagen ein kräftiges Umsatzplus verzeichnet haben.
Die Bühne ist festlich geschmückt, die Plätze für die Angehörigen gefüllt. Die Zeremonienmeisterin ergreift das Wort. Nach Klassen werden die Schülerinnen und Schüler aufgerufen, unter Applaus einzumarschieren und ihre reservierten Plätze einzunehmen.
Schließlich wird der „Zeremonientisch“ („mesa de ceremônia“) mit den Würdenträgern („autoridades“) bestückt: Der Schulleiter, Lehrkräfte mit besonderen Funktionen, die Chefin der Verwaltung. Zehn Personen insgesamt.
Man möchte meinen, jetzt könne der offizielle Teil beginnen: Diverse Ansprachen, dann die Übergabe der Urkunden. Moment! Wir sind nicht in Deutschland, sondern in Brasilien. Und da darf bei offiziellen Veranstaltungen – auch bei solchen von lokaler Natur – eines nicht fehlen: Die Nationalhymne.
So werden alle Anwesenden gebeten, sich zu erheben und die Hymne mitzusingen. Und alle singen mit. Mit Stolz und Leidenschaft. (Man stelle sich das mal einen Moment lang vor: Eine schulische Veranstaltung in Deutschland wird mit dem Absingen der Nationalhymne eröffnet.)
Und jeder kennt den Text auswändig – bei insgesamt 52 (!) Zeilen in literarischer Sprache wahrlich keine Selbstverständlichkeit. Das brasilianische Schulsystem hat sicherlich große Schwächen – dennoch gelingt es offenbar, jedem Kind die Hymne beizubringen.
An diesem Abend wird im Anschluss daran auch noch die Hymne des Bundesstaates Mato Grosso do Sul gesungen. Da mussten schon einige passen. Schließlich entstand das Bundesland erst vor gut 30 Jahren durch Teilung eines größeren Gebildes. Entsprechend jung dürfte auch die Hymne sein.
Nun also die Ansprachen. Die Befürchtung, dass jeder der anwesenden Autoritäten das Wort ergreifen würde, ist unbegründet. Der Schulleiter, zwei Lehrer, eine Schülervertreterin. Fertig. Endlich die mit Spannung erwartete Übergabe der Urkunden. Da diese zusammengerollt in dünnen zylinderförmigen Gefäßen übergeben werden, hat sich hierfür in der Umgangssprache die Bezeichnung „Strohhalme“ („canudos“) durchgesetzt.
Nacheinander werden die Schülerinnen und Schüler mit Namen auf die Bühne gerufen. Jeder und jede bekommt seinen und ihren großen persönlichen Auftritt: Umarmungen und Wangenküsse, Foto mit dem Lehrer oder der Lehrerin, Applaus. Währenddessen wird der Name in großen Lettern in einem leuchteten Schriftband eingeblendet. Ich bin beeindruckt und, ja, wenn ich ganz ehrlich bin, auch ein wenig gerührt, und stolz, als mein Sohn die Bühne erklimmt.
Vom dritten Teil der Feierlichkeiten, dem Ball, wird noch zu berichten sein.
WACHSTUM
Es wächst allerhand in unserem Garten. Exotische Früchte – aus deutscher Perspektive. Beginnen wir mit der Frucht, die sich keiner hohen Wertschätzung erfreuen kann: der Banane. Nicht dass sie verschmäht würde. Man hat sie zum Fressen gerne. Allerdings wird ihr Wert nicht besonders hoch eingeschätzt. Wenn man etwas besonders preiswert erworben hat, so hat man einen „Preis von Bananen“ („preço de banana“) bezahlt. Bananenstauden haben wir also. Und sie tragen Früchte (s. Foto). Nach der Ernte muss der zugehörige Stamm abgeschnitten werden. Das gefällt mir nicht, muss aber wohl sein – des nachhaltigen Ertrages wegen.
Von den Mangos war bereits die Rede. Sie lassen uns übrigens immer noch warten. Wie im Übrigen auch die Avocados („abacates“) am gleichnamigen Baum. Hierzulande wird die Avocado übrigens als Obst betrachtet. Zum Verzehr schneidet man sie auf, beträufelt sie mit Limonensaft und streut – jetzt kommt’s – Zucker darüber. Schmeckt aber trotzdem.
Nicht zum Essen gedacht, aber in anderer Weise hilfreich ist unsere Aloe Vera („babosa“). Der hiesige Name ist weniger mystisch als der lateinische Name. Er verweist ganz banal darauf, dass beim Anschneiden eine zähe Flüssigkeit heraus rinnt, wie aus einem sabbernden Babymund.
Und dann wäre da noch der Zitronenbaum. Mit Früchten ist mittelfristig nicht zu rechnen, da er von unseren lieben Ameisen nun schon zum zweiten Mal kahlgefressen wurde. Wundersamerweise scheint er aber auch dieses Mal nicht aufzugeben.
Das ist doch ein schönes Motto für die Woche: Niemals aufgeben.