Über die Ergebnisse der Landtagswahlen in drei deutschen Bundesländern wurde hierzulande tatsächlich nicht berichtet. Wer hätte das gedacht. Die Koalitionsbildung wird wohl schwierig und langwierig werden. Sind ja immerhin auch 5 Parteien am Werk. Wie war das früher doch schön einfach: Rot-Gelb oder Schwarz-Gelb oder Schwarz-Rot oder Rot-Grün – fertig. Aber jetzt, mit der LINKEn – das kann ja nichts werden. Oder doch? Vielleicht könnten die deutschen PolitikerInnen hier von ihren brasilianischen KollegInnen lernen.
In verschiedenen Diskussionen (z.B. beim „Churrasco“) hatte ich immer wieder mal gefragt, welche Parteien denn eigentlich hier an der Regierung beteiligt sind. Nie bekam ich eine zufriedenstellende Antwort. Gut, die PT („Partido dos Trabalhadores“ = Partei der Arbeiter), die Partei des Präsidenten, das ist klar. Dass die PMDB („Partido do Movimento Democrático Brasileiro“ = Partei der brasilianischen demokratischen Bewegung“) beteiligt ist, ist auch noch bekannt. Aber wer sonst noch?
Inzwischen weiß ich, warum die Antwort auf diese Frage hierzulande nicht zum Allgemeinwissen gehört. Die Sache verhält sich nämlich wie folgt:
In der Abgeordnetenkammer („Câmara dos Deputados“) sind 19 Parteien vertreten. Und jetzt kommt’s: Von diesen 19 Parteien gehören 12 Parteien ganz, weitere 4 teilweise zur Regierung. „Teilweise“ bedeutet, dass einzelne Abgeordnete aus diesen Parteien mit der Regierung, andere mit der Opposition stimmen.
Vielleicht sollte man also Präsident Lula für ein paar Tage nach Deutschland einladen und ihn bitten, dort die vergleichsweise lächerlich einfachen Koalitionen mal eben einzufädeln.
Wie diese hohe Schule der Koalitionsbildung funktioniert, konnte man Anfang der Woche in der hiesigen Zeitung nachlesen.
Die zweite Amtszeit des amtierenden Präsidenten endet Ende 2010. Eine weitere Amtszeit verbietet die Verfassung. (Dürfte er erneut kandidieren – er würde vermutlich mit überwältigender Mehrheit wiedergewählt werden.)
Im Herbst 2010 finden Neuwahlen statt. Präsident Lula will seine Stabschefin namens Dilma, ebenfalls von der PT, als Nachfolgerin platzieren. Dazu braucht er mindestens die Unterstützung der PMDB. Diese Unterstützung gibt es natürlich nicht umsonst. Und so muss für jeden der 26 Bundesstaaten ein „Win-Win-Paket“ geschnürt werden. In unserem Bundesstaat, Mato Grosso do Sul, wird gerade folgende Variante diskutiert:
Der Präsident persönlich „ermuntert“ einen Parteifreund, bei den ebenfalls anstehenden Gouverneurswahlen nicht zu kandidieren und das Feld stattdessen dem Kandidaten der PMDB zu überlassen. Den Verzicht auf die Kandidatur gibt es natürlich nicht umsonst. Besagter Parteifreund darf stattdessen für das Bundesparlament kandidieren. Um sicherzustellen, dass er auch gewählt wird, muss einer der amtierenden Abgeordneten zum Verzicht auf eine erneute Kandidatur bewegt werden. Jetzt wird es eng. Ein adäquater Ausgleich ist nicht in Sicht, daher hat der amtierende Abgeordnete bereits damit gedroht, die Partei zu wechseln. Eine mögliche Lösung.
BRASILIEN UND DER 2. WELTKRIEG
In der vergangenen Woche wurde in Deutschland und ganz Europa des Beginns des 2. Weltkriegs vor 70 Jahren gedacht. In Brasilien fand dieses Thema nur am Rande Erwähnung, obwohl – was viele nicht wissen – auch Brasilianer in diesem Krieg gekämpft haben und dabei gestorben sind. Weit weg von der Heimat, in Europa, genau gesagt in Italien.
Anfang 1942 wurden brasilianische Handelsschiffe vor der brasilianischen Küste von italienischen und deutschen U-Booten beschossen. Brasilien befürchtete ein Übergreifen des Krieges auf das eigene Territorium. Um dies zu verhindern, aber wohl auch auf Drängen des damaligen US-Präsidenten F. D. Roosevelt stellte Brasilien die „Força Expedicionária Brasileira (FEB)“ zusammen, eine speziell ausgebildete Gruppe des brasilianischen Heeres in der Stärke von gut 25.000 Mann.
Mitte des Jahres 1944 wurde die „FEB“ nach Italien verschifft, um dort bis zum Kriegsende gegen die Faschisten zu kämpfen. Nicht nur die Kämpfe, sondern auch der strenge Winter 1944/45 mit in Brasilien nicht bekannten Temperaturen, wurden vielen Brasilianern zum Verhängnis. In Rio de Janeiro erinnert ein von Oscar Niemeyer, dem Erbauer der Hauptstadt Brasilias, errichtetes Denkmal an die Gefallenen.
Letzte Woche besuchte ich das Museum, welches hier in der Stadt an die FEB erinnert. Die ausgestellten Fotos sind sehr eindringlich. Ich verneige mich respektvoll.
KARATÊ
Brasilien war und ist ein Einwanderungsland. Wer hier geboren wird, ist Brasilianerin bzw. Brasilianer – unabhängig von der Herkunft der Eltern. Basta. Eine große „Comunidade“ in unserer Stadt sind die Japaner – oder genauer gesagt: Die Brasilianer japanischer Herkunft. Für deutsche Augen und Ohren wirkt es äußerst ungewohnt, wenn jemand mit japanischer Physiognomie sich laut und wild gestikulierend unterhält – und dann noch auf Portugiesisch. Und würde man diese Person fragen, ob er oder sie Japanerin oder Japaner ist, so wäre die Antwort höchstwahrscheinlich ungefähr so: „Mein Großvater war Japaner.“ Klammer auf: Ich bin Brasilianer. Klammer zu.
Wo es japanische Traditionen gibt, da darf Karate (hier: Karatê) nicht fehlen. Tatsächlich gibt es zahlreiche „Academias de Karatê“ in unserer Stadt. Das ist erfreulich für unsere Kinder, haben sie doch bei der TSG Wiesloch sieben bzw. vier Jahre lang Karate praktiziert. An dieser Stelle vielen herzlich Dank an die engagierten Trainer Daniel und Volker von der TSG Wiesloch.
Letzte Woche absolvierten sie ihr erstes Training hier in Campo Grande – bei „Professor Arani“. („Professor“ bedeutet herzulande schlicht „Lehrer“.) Die Resonanz unserer Kinder war sehr positiv. Maßgeblich dazu beigetragen hat sicher der Umstand, dass Karate weltweit (weitgehend) einheitlich ist. Da zeigt sich mal wieder, was globale Standards wert sind. Eine „Kata“ im Karate ist halt überall gleich – sei es in Wiesloch oder in Campo Grande.
BRASILIEN vs. ARGENITINIEN
Der sportliche Höhepunkt der Woche war natürlich das WM-Qualifikationsspiel Brasilien gegen Argentinien. Argentinien ist mit Abstand der „Lieblingsfeind“ der Brasilianer – nicht nur in sportlicher Hinsicht.
Lange Zeit waren die Argentinier die reichen Nachbarn aus dem Süden, die die brasilianischen Strände bevölkerten. Und da muss es wohl mal vorgekommen sein, dass ein argentinischer Tourist es an der gebotenen Zurückhaltung fehlen ließ.
Mit dem Defacto-Zusammenbruch der argentinischen Wirtschaft im Jahre 2002 wurde aus dem reichen plötzlich der notleidende Nachbar. Die Rivalität in sportlicher Hinsicht ist geblieben.
Spiele der „Seleção“ werden natürlich in größerer Runde verfolgt, z.B. auf einem Fernseher im Hof oder auf der Veranda, mit eisgekühlten Getränken (z.B „Cerveja“). Da es in Brasilianer ca. 180 Millionen Fußballexperten gibt, die jederzeit bereit und in der Lage sind, den Nationaltrainer sachkundig zu beraten, ist stets jede Menge Fußballsachverstand garantiert.
Das Ergebnis vom Samstag ist bekannt. Brasilien führte nach einer halben Stunde bereits 2:0. Maradona begann, an seinen Fingernägeln zu kauen. (Diese Szenen wurden vom brasilianischen Fernsehen reichlich ausgekostet.) Argentinien durfte einen Treffer erzielen, bevor dann Brasilien den Sack zumachte. 3:1 – und das in Argentinien. Brasilien ist damit für die WM in Südafrika qualifiziert, für Argentinien wird es eng.
Im Oktober findet – nach über zehn Jahren – in Campo Grande mal wieder ein Länderspiel statt. Das – für Brasilien dann bereits bedeutungslose – WM-Qualifikationsspiel gegen Venezuela. Wir werden uns – wie 700.000 andere Campo-Grandenser – um Karten bemühen.
CHURRASCO
Endlich mal wieder ein Sonntag mit Churrasco. Trotz Regen. Dank überdachter Veranda. Meine Frau hatte letzte Woche einen ihr bis dahin nicht bekannten Cousin („Primo“) namens Ronaldo kennen gelernt. Ronaldos Vater und Orianas Urgroßmutter waren Geschwister. Ronaldo ist zwar älter als meine Frau, aber zu jung um als Onkel durchzugehen. Also Cousin. Dass die Verwandtschaftsbeziehungen hier nicht juristisch-mathematisch präzise zu verstehen sind, sagte ich ja bereits.
Ronaldo ist verheiratet und hat drei Kinder. Seine älteste Tochter promoviert zurzeit – jawohl! – in Bayern, in Regensburg!
ENDE
Ich wünsche Euch allen eine schöne letzte Schulferienwoche.
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