CAMPO GRANDE 12 UHR MITTAGS – DEUTSCHLAND HAT GEWÄHLT
12 Uhr mittags. Die ersten Würstchen vom Grill haben bereits gemundet. Das schöne Stück Fleisch („Picanha“) verspricht gar köstlich zu werden. Ein bisschen braucht es noch. Zeit für die Prognose. Schwarz-Gelb also. Das Wahlergebnis freut mich. Für Deutschlands Kabarettisten. Ich vermute mal, bei Priol, Schramm und Co. rauchen bereits die Köpfe. Da ist doch wesentlich mehr Stoff zu erwarten als von der SPD.
Was hat ein Steinmeier denn all die Jahre für die Kabarettisten getan? Gar nichts. Hat einfach seine Arbeit gemacht. Keine Skandale. Nichts. Und Steinbrück? Gut, er wollte als Haushaltssanierer in die Geschichtsbücher eingehen. War auf gutem Wege dahin. Bis zur Finanzkrise. Immerhin hat er mit ein paar starken Sprüchen gegen die Schweizer streckenweise für Unterhaltung gesorgt. Ulla Schmidt? Hat sich in beeindruckender Weise gegen verschiedene Lobbyistengruppen gestemmt. Schön und gut. Aber auch nicht der Stoff, aus dem erstklassige Sketche sind. Da war Tiefensee schon ergiebiger. Der verhinderte Bahnsanierer und letzte Fan von Hartmut Mehdorn. Obendrein möglicherweise der unauffälligste Bauminister (!) aller Zeiten.
Jetzt also die SPD unter 25%. Das tut mir, der ich einst noch Willy Brandt leibhaftig in München erleben durfte, schon weh.
Ich tröste mich mit der Vorfreude auf die nächste Ausgabe von „Neues aus der Anstalt“ (ZDF), wo Anstaltsleiter Urban Priol mit Georg Schramm und den anderen Anstaltsinsassen uns schlichten Geistern das Wahlergebnis schon mundgerecht filetieren wird.
Die vergangene Woche hat insofern weniger Berichtenswertes, als ein heimtückischer Virus mich befallen und niedergestreckt hatte. Drei Tage lang war ich praktisch komplett ans Bett gefesselt und zu keiner nennenswerten geistigen oder körperlichen Handlung fähig.
Nun ist ja in Brasilien alles größer und gewaltiger. Auch die Viren. Die kann man fast mit bloßem Auge erkennen. OK, das ist leicht übertrieben.
Ich könnte nun berichten von bizarren Träumen, während ich fiebergeschüttelt mich auf meiner Pritsche hin- und herwarf und minütlich befürchten musste, im zähen Kampf gegen den Feind in meinem Körper heldenhaft zu unterliegen.
Doch erstens belief sich die höchste Temperatur, welche in diesen Tagen und Nächten an meinem Körper gemessen wurde auf gerade mal 37,3° Celsius. Also kein unmittelbar lebensbedrohliches Fieber. Und zweitens stellte meine Frau die Diagnose „Ganz normaler viraler Effekt“. Vermutlich litt ich an einer neuen, noch unerforschten Krankheit, und sie wollte mir die ganze brutale Wahrheit ersparen.
Dank der exzellenten Behandlung und Betreuung durch meine geliebte Gattin und der kompromisslosen Entschlossenheit, mit der ich mit dem unsichtbaren Eindringling entgegenstemmte, bin ich nun wieder einigermaßen hergestellt. Wie aber konnte es überhaupt so weit kommen? Nun, eine mögliche Erklärung ist diese hier.
Am Samstag vor einer Woche machte ich mich früh morgens auf den Weg, die Strecke des bevorstehenden Halbmarathons abzulaufen. Über Nacht hatte es stark abgekühlt – von über 35° auf etwa 20°.
Unterwegs geriet ich in einen der bereits beschriebenen tropischen Regengüsse mit Weltuntergangsfeeling. Links und rechts von mir schlugen mit lautem Knall die Blitze ein – ich immer weiter. Nach einem besorgten Anruf von Zuhause kürzte ich ein wenig ab und kehrte guter Dinge heim.
Im Laufe des Tages kühlte es weiter ab. Abends waren wir zu einer Geburtstagsfeier eingeladen. Ort des Geschehens: natürlich die Veranda. Also draußen. Es war mittlerweile richtig frisch, und ich war unangemessen gekleidet. Schon war’s passiert.
Wir merken: Auch in tropischen Gefilden kann man sich erkälten.
Von einem weiteren Ereignis kann ich – krankheitsbedingt – nur mittelbar berichten: Die Eröffnung des ersten Wochenmarkts mit Produkten aus biologischem Anbau („produtos orgânicos“). Das wollten wir, also meine Frau, uns nicht entgehenlassen.
Auch der Oberbürgermeister („Prefeito“) war da, um den Markt ganz offiziell zu eröffnen. Oriana nutzte die Gelegenheit und wies ihn daraufhin, dass zum ökologischen Glück jetzt nur noch die Radwege fehlen, auf denen man sicher mit dem Fahrrad zum Bio-Markt fahren kann. Er zeigte dafür nicht etwa Unverständnis, sondern erwiderte, dass er an diesem Projekt bereits „dran“ sei. Er hätte sich hierzu auch bereits in Bogotá, der Hauptstadt des Nachbarn Kolumbien, umgesehen. Dort würde ein gut ausgebautes Radwegenetz geben.
Nun, diese Information überraschte mich, fand sie jedoch in www.wikivoyage.de bestätigt. Hiernach besitzt Bogotá mit 300 km das längste städtische Radwegenetz von ganz Amerika – nicht nur Südamerika. Jeden Sonntag werden dort angeblich mehrere Straßenzüge für den Autoverkehr gesperrt, so dass Fahrradfahrer freie Fahrt haben. 300 Kilometer sind nicht gerade viel für eine 7-Millionenstadt. Aber immerhin.
Neben der Errichtung von Fahrradwegen wäre da jedoch noch ein Detailproblem zu lösen: die vorherrschende „Hackordnung“ im Straßenverkehr, welche dem „Recht des Stärkeren“ folgt.
Nun muss man nicht bis nach Südamerika reisen, um als Fußgänger beim Überqueren einer Straße auf einem Zebrastreifen sein Leben zu riskieren.
Man kann die Welt in zwei Zonen einteilen: Zone 1. Das ist derjenige Teil der Welt, wo ein Zebrastreifen einem Fußgänger die unsichtbare Kraft verleiht, ein herannahendes Fahrzeug zum Bremsen zu veranlassen. Und Zone 2. Das ist jener andere Teil, wo ein Zebrastreifen eher dazu dient, das Grau des Asphalts etwas aufzulockern, also eher dekorativen Charakter besitzt.
Von Wiesloch aus in süd-südöstlicher Richtung dürfte der Zonenübergang irgendwo auf der Höhe Milano-Verano verlaufen. In südwestlicher Richtung bin ich mir da nicht so sicher. Beginnt Zone 2 bereits in Hagenau, oder erst in Nancy? Zweifellos aber befindet man sich in Montpellier, Marseille und jenseits der Pyrenäen in Zone 2. Und in Brasilien halt auch.
Bis wir also entspannt und gefahrlos mit dem Fahrrad zum Bio-Markt fahren können, wird es noch ein bisschen dauern. Von der sehr guten Qualität der Bio-Ware konnte ich mich aber bereits jetzt überzeugen.
Ich wünsche allen eine erfolgreiche Woche.