Sonntag, 18. Juli 2010

Sonntag, 18. Juli 2010

Grosses Wasser: Foz do Iguaçu

Das Beste zum Schluss? Nein, das würde all den vielen wunderbaren Orten, die wir in den letzten zwölf Monaten bereist haben, nicht gerecht werden. Sagen wir mal lieber so: Ein weiterer Höhepunkt, welcher die Liste unserer Exkursionen abrundet. Ziel ist die Stadt Foz do Iguaçu mit den naheglegenen weltberühmten Wasserfällen von Iguaçu, einem UNESCO-Weltnaturerbe.

Die Entfernung von Campo Grande beträgt etwa 720 km. GoogleMaps empfiehlt, zehneinhalb Stunden dafür zu veranschlagen. Zuzüglich Pausen. Sollte also in einem Tag machbar sein. Frühzeitiges Aufbrechen vorausgesetzt, zumal es südwärts geht. Dort wird es, jetzt im Winter, noch früher dunkel als in Campo Grande.

Vor dem Aufbruch ein schneller Blick auf die Wettervorhersage. Nach über einem Monat ohne Regen mit angenehmen Temperaturen zwischen 25 und 30 Grad steht nun eine deutliche Abkühlung ins Haus. Von Höchst¬temperaturen um die 15 Grad ist die Rede. Also unbedingt einen warmen Pullover in den Koffer packen.

Die Route ist wie schon so oft recht einfach: Die Stadt Richtung Süden verlassen, dann immer geradeaus auf der Bundesstraße 163 (»BR-163«)

Nach knapp 500 km gelangen wir an den Rio Paraná, der hier die Grenze zwischen den Bundesstaaten Mato Grosso do Sul und Paraná bildet. Die Flussüberquerung wird uns ermöglicht durch eine Brücke, welche den Namen des 1994 tödlich verunglückten Formel 1-Piloten Airton Senna trägt. Knapp 4 km ist der Fluss hier breit.

Nach weiteren gut 50 Kilometern sind wir zwar immer noch in Brasilien. Die Region könnte aber auch irgendwo in Bayern oder Thüringen liegen. Viele deutsche Namen, ordentlich herausgeputzte kleine Städte, Alleen mit Laubbäumen, die auch auf der Südhalbkugel im Winter ihre Blätter abwerfen. Nun ist es nicht mehr weit.

Wir erreichen unser Ziel kurz nach Sonnenuntergang. Die Lage der Stadt Foz do Iguaçu (»Mündung des Iguaçu«) ist bestimmt durch die Flussmündung des Rio Iguaçu in den Rio Paraná. Diese Mündung bildet zugleich ein Dreiländereck zwischen Brasilien, Argentinien und Paraguay.

Eine Brücke nach Westen, die »Brücke der Freundschaft« (port. »Ponte da Amizade«, span. »Puente de la Amistad«) über den Rio Paraná führt schnurstracks nach Paraguay. Auf der anderen Seite liegt die zweitgrößte Stadt Paraguays »Ciudad del Este«. Gegründet als »Ciudad Flor de Lis« (»Lilienstadt«), musste sie später jahrzehntelang den Namen des Diktators Stroessner ertragen (»Puerto Stroessner«), um dann 1989 den heutigen Namen (»Stadt des Ostens«) anzunehmen.

Eine weitere Brücke führt nach Süden. Die »Internationale Brücke der Brüderlichkeit« (port. »Ponte Internacional da Fraternidade«). Offiziell heißt sie eigentlich »Ponte Internacional Tancredo Neves«, benannt nach dem brasilianischen Politiker, der 1985 erster ziviler Präsident nach der Militärdiktatur werden und damit dieses dunkle Kapitel der Geschichte beenden sollte. Tragischerweise erkrankte er schwer am Vorabend der Amtsübernahme und verstarb wenige Wochen darauf.

Diese Brücke also führt nach Argentinien in die Stadt »Puerto Iguazú«. Brasilien, Paraguay und Argentinien bilden ja, neben Uruguay und neuerdings Venezuela, die Wirtschaftsunion Mercosul. Dies hat in der Folge auch zu einem weitgehenden Abbau der Grenzkontrollen geführt, so dass man sich als Reisender nahezu ungehindert bewegen kann.

Die Stadt Foz do Iguaçu mit ihren gut 300.000 Einwohnern gilt als ausgesprochen multikulturell. Nach Rio de Janeiro ist sie das von ausländischen Touristen meistbesuchte Ziel Brasiliens. Für diesen Ansturm gibt es neben den bereits erwähnten Wasserfällen einen weiteren Grund: Das gigantische Wasserkraftwerk von Itaipu am Rio Paraná – bis zur Fertigstellung des chinesischen Drei-Schluchten-Kraftwerks das größte seiner Art in der Welt.

Im Moment interessieren uns jedoch keine Super-lative. Wir wollen nach einer langen Autofahrt unsere Pousada finden, warm duschen und etwas Ordentliches essen. Das Angebot an Hotels und Pensionen ist groß, sehr groß. Von der einfachen Jugendherberge bis zum Luxushotel mit direktem Blick auf die Wasserfälle.

Mit unserem Hang zu familiär geführten Pousadas, möglichst im Grünen, fällt unsere Wahl auf die »Pousada Sonho Meu«, zu deutsch »mein Traum«. Eine solide Wahl. Die Einrichtungs¬gegenstände sind aus Bambus (»bambu«) und Lianen (»cipó«) gefertigt. Ein rustikales harmonisches Ambiente, ganz nach unserem Geschmack.

Unser Haupaugenmerk gilt nun jedoch der Klimaanlage, die erfreulicherweise auch heizen kann. Wir haben nämlich „Glück“ und erleben die kältesten Tage des Jahres. Nicht nur die Höchsttemperaturen sind von einem Tag auf den anderen um etwa 15 gesunken, sondern auch die Tiefsttemperaturen. In der folgenden Nacht sollte das Thermometer auf redorkverdächtige null Grad sinken.

Wir überleben die eiskalte Nacht. Im Gegensatz zu den Zimmern ist der Frühstücksraum halb offen und unbeheizt. Schlotternd nehmen wir unseren „café da manhã“ zu uns, und zwar schnell, bevor alles kalt wird.

Am ersten Tag das Wichtigste zuerst: Der Besuch der Wasserfälle, eingebettet in einen Nationalpark, etwa 20 km außerhalb der Stadt.

Das Wort »Iguaçu« bedeutet in der Sprache der Guarani-Indios so viel wie »großes Wasser«. Eine durchaus nachvollziehbare Namensgebung. Der Rio Iguaçu ist mit gut 1.300 km etwas länger als der Rhein. Die Wasserfälle liegen nur wenige Kilometer oberhalb der Mündung. Die afrikanischen Victoriafälle sind zwar angeblich etwas höher, dafür sind die Iguaçu-Wasserrfälle breiter. Jetzt kann sich jeder aussuchen, welche davon die größten der Welt sind.

Viele tausend Kubikmeter Wasser pro Sekunde stürzen bis zu 75 Meter in die Tiefe und sorgen für eine ohrenbetäubende Lärmkulisse. Unterhaltung ist nur durch Zeichensprache oder Anschreien möglich.

Der größere Teil der Wasserfälle liegt auf argentinischem Territorium. Den schöneren Blick hat man – natürlich – von der brasilianischen Seite. Darin sind sich alle Brasilianer einig.

Den abschließenden Höhepunkt des Rundgangs bildet die »Garganta do Diabo«, der »Teufelsschlund«. Hier ergießen sich die Wassermassen von drei Seiten in U-Form nach unten. Kaum zu glauben, dass eine Vogelart, der sogenannte Rußsegler ausgerechnet in den Felswänden hinter dem Wasserfall seine Nistplätze errichtet. Der Vorteil liegt auf der Hand. Dort gelangt so leicht kein möglicher Feind hin. Beim Durchqueren des Wasservorhangs werden die Vögel zwar ein Stück mitgerissen, erleiden aber keine Schäden.

Am Nachmittag steht ein Wunderwerk der Technik auf dem Programm: Das Wasserkraftwerk Itaipu. Der Name, wieder ein Begriff aus der Sprache der Guarani-Indios, bedeutet »Singender Stein«. Eine Insel in der Nähe der ehemaligen Baustelle hieß so. Die Insel existiert nicht mehr. Sie versank, wie vieles andere, in dem künstlichen See, welcher durch die gigantische Staumauer, 7 km lang, bis zu 225 m hoch, entstand. Mit etwa 1.400 km2 ist dieser etwa dreimal so groß wie der Bodensee.

Mit dem hier verbauten Material hätte mehr als 200 Maracanã-Fußballstadien und fast 400 Eiffeltürme oder wahlweise 15 Eurotunnels errichten können. 40.000 Arbeiter waren in der Spitze am Werk.

Nun ist die Wassermenge bei den Iguaçu-Fällen schon unvorstellbar groß. Hier ist aber wird diese Menge noch einmal um ein Mehrfaches übertroffen: Bis zu 60.000 Kubikmeter fließen pro Sekunde durch die Staumauer.

Damit werden 20 Generatoren mit je 700 MW Leistung angetrieben. In der Regel sind 18 davon gleichzeitig in Betrieb, während die anderen beiden gewartet werden. Diese elektrische Leistung entspricht, wie bereits früher erwähnt, etwa 70% der Gesamtleistung aller aktiven Kernkraftwerke in Deutschland.

Eine weitere beeindruckende Zahl: Wollte man diese Menge an Energie durch Verbrennung von Öl gewinnen, so müsste man unvorstellbare 434.000 Barrel davon verfeuern, mit einem CO2-Ausstoß von knapp 200.000 Tonnen. Und zwar täglich.

Kleine Kuriosität am Rande: Die letzten beiden Turbinen werden von der Firma Voith Siemens Hydro Power Generation aus dem baden-württembergischen Heidenheim geliefert.

Vor vierzig Jahren, 1970, beginnen Planung und Machbarkeitsstudien. 1978 wird ein Kanal eröffnet, der das Gebiet, wo der Staudamm gebaut werden sollte, trockenlegt. Etwa 10.000 Familien müssen umgesiedelt werden. Hierdurch entstehen die sog. Brasiguaios: Brasilianer, welche sich mit der Entschädigung Land in Paraguay kaufen.

Während der Bauphase existieren zwei Eisfabriken auf dem Gelände mit einer Leistung von 80 Tonnen pro Stunde. Das Produkt diene nicht etwa dazu, die Getränke für die durstigen Arbeiter zu kühlen. Vielmehr wird es dem Beton beigemischt. Dadurch wird, bei Außentemperaturen von über 40 Grad das Trocknen verlangsamt, um spätere Risse im Bauwerk zu vermeiden. Eine damals neue, hier erstmals angewendete Technik.

Brasilien übernimmt vertragsgemäß die gesamten Baukosten und erhält im Gegenzug den größten Teil der produzierten elektrischen Energie.

1984 geht der erste Generator ans Netz. 2007 wird das Projekt offiziell für abgeschlossen erklärt. Heute bezieht Brasilien 90% des produzierten Stroms und deckt damit etwa 20% des Bedarfs. Paraguay erhält die restlichen 10%, kann damit aber 90% der landesweit benötigten Strommenge decken.

1992, bei meinem ersten Besuch, präsentierte sich Itaipu als Wasserkraftwerk. Heute, 2010, spannt der Film zu Beginn der Führung einen Bogen von Energie und Technologie, über soziale und ökologische Verant-wortung bis hin zu Tourismus. So sind etwa auf dem Gelände Lehr- und Forschungseinrichtungen entstanden. Falls es zu Beginn des Megaprojektes Itaipu Bedenken oder gar Widerstände gegeben haben sollte – heute ist davon nichts zu spüren. Im Gegenteil. Eine ganze Region profitiert davon, und dies nachhaltig, erhalten doch alle Gemeinden, deren Gebiet teilweise von dem Stausee überflutet wurde, einen Anteil an den Stromerlösen. Damit wurden etwa attraktive Bäder („balneários“) and den Ufern des Stausees errichtet.

Im Eingang des Besucherzentrum gibt eine Statistik Auskunft über die Herkunft der über 15 Millionen Besucher, welche in den Jahren 1977 bis 2009 den Weg hierher fanden. Die Brasilianer bilden natürlich die größte Gruppe, gefolgt von den Argentiniern und den Paraguayern. Doch dann kommen bereits – wer hätte das gedacht – die Deutschen.

Zu einem Besuch in Foz do Iguaçu gehört unbedingt auch ein Einkaufsbummel in Paraguay. Einzelne Familienmitglieder hegen die Hoffnung, dort diverses elektronisches Gerät zu unschlagbaren Schnäppchenpreisen erwerben zu können. An und für sich ein einfaches Unterfangen: Die Brücke überqueren, nacheinander die zahlreichen Einkaufszentren besuchen, Brücke erneut überqueren – fertig. So weit die Theorie.

Donnertstamorgen, gegen 9 Uhr. Wir nehmen die Auffahrt zur Brücke. Die brasilianischen Zöllner schenken und keinerlei Beachtung, wie auch deren paraguayische Kollegen auf der anderen Seite des Flusses uns einfach durchwinken. Schlagartig wird uns klar, dass unser Kennzeichen uns als auswärtige und daher vermutlich unkundige Besucher entlarvt. Zahllose hoch motivierte Verkäufer und „Einkaufsführer“ („guias de compras“) stürzen uns regelrecht auf uns, umringen förmlich unser Auto und reden auf uns ein, dass wir bitteschön genau diesen Parkplatz und jenes Geschäft aufsuchen sollen. Ich rechne jeden Moment damit, dass einer dieser „guias“ auf unser Motorhaube landet.

Der Verkehr gehorcht hier keinerlei Regeln. Wer eine Lücke entdeckt, stößt in diese hinein. Autos, Motoräder und Fußgänger bilden ein dichtes Mosaik, aus dem ein Entrinnen nur schwer möglich scheint. So wird das nichts. Irgendwie gelingt es uns, unser Fahrzeug zu wenden und heil das andere, das rettende, das brasilianische Ufer zu erreichen. Welch ein Kontrast. Hier das zivilisierte Foz do Iguaçu, eine Stadt die auch irgendwo in Europa liegen könnte, dort das chaotische, ja anarchische Ciudad del Este. Nun ist Ciudad del Este sicher nicht typisch für Paraguay. Das Land hat sicher viel mehr zu bieten als diesen anstrengenden Ort.

Und vielleicht war dieser erste kurze Eindruck nicht vollständig. Der weibliche Teil der Familie will diese Frage nicht weiter erörtern. Mein Sohn und ich wollen es wissen und beschließen, einen zweiten Versuch zu unternehmen. Zu Fuß. Schon ist alles anders. Das beginnt bereits an der Grenze. Während motorisierte Fahrzeuge ungehindert passieren, müssen wir uns ausweisen. Beinahe ist unser Ausflug bereits zu Ende, bevor er angefangen hat, braucht doch ein Elternteil die schriftliche Genehmigung des anderen, will er oder sie allein mit einem der Kinder reisen. Die Grenzpolisitin drückt ein Auge zu und lässt uns passieren. Siehe da, wir können uns frei bewegen, ohne belästigt zu werden.

Also rein in das erste Shopping-Center. Das Angebot ist überquellend. Es ist alles da. Alle Marken, alle Modelle. Lediglich die Preise sind deutlich höher als erwartet. Und das geht so: Elektronische Geräte sind in Brasilien etwa 20% bis 30% teurer als in Deutschland. Wenn nun diese Artikel in Paraguay um ein Drittel billiger zu haben sind als in Brasilien, so ist aus deutscher Sicht der Preisvorteil enttäuschend gering. Bedenkt man nun noch, dass eine eventuelle Garantieleistung nur schwer einzufordern wäre, so schrumpft das Kaufinteresse mit jeder Minute

Ganz mit leeren Händen wollen wir dann aber doch nicht heimkehren. So erwerben wir einen Musik- und Video-Player, einen sogenannten „mp5“, für 35 US-Dollar. Die Bezeichnung ist weniger technischer Natur, sondern setzt in kreativer Weise die Serie mp3 und mp4 logisch fort. Nun müssen wir unsere erworbene Ware nur noch durch den brasilianischen Zoll bringen. Dort angekommen reihen wir ein in die Schlange all jener, die den Fußweg gewählt hatten. Formular ausfüllen, Einkäufe registrieren, fertig. Abschließend werde ich darauf hingewiesen, dass mein nächster Einkauf erst wieder in 30 Tagen möglich ist. Das ist in Ordnung.

So endet unser Ausflug in das Dreiländereck. Für einen weiteren Besuch, dann aber bitte in einer wärmeren Jahreszeit, ist noch allerhand übrig. So etwa die argentinische Seite der Wasserfälle. Man soll ja immer etwas übriglassen für das nächste Mal.

Feliz Aniversário

Heute ist der Geburtstag unserer Deborah, unserer lieben Kleinen, die nun schon richtig groß ist. Wir freuen uns mit ihr und wünschen uns, dass sie sich weiterhin so prächtig entwickelt. Jetzt durfte jeder von uns einmal Geburtstag in Brasilien feiern. Hund inklusive.

Danke, Brasilien

Am kommenden Freitag fliegen wir zurück nach Deutschland. Zeit zum Abschiednehmen. Das ist nach wie vor nicht meine größte Stärke. Wer konnte aber auch ahnen, dass nach einem einzigen Jahr der Abschied uns so schwer fallen würde? Und ausgerechnet mir, dem einzigen Ausländer in der Familie? Vom Hund mal abgesehen.

So bin ich erfüllt von wehmütiger Dankbarkeit. Dankbar für all das, was ich in den letzten 360 Tagen erleben durfte.

Da wären an erster Stelle zu nennen die vielen schönen menschlichen Begegnungen, mit dieser so besonderen brasilianischen menschlichen Wärme (»calor humano«). Einer unsichtbaren Kraft, gegen die man selbst als Ausländer, der vielleicht mal lieber etwas Distanz halten möchte, absolut chancenlos ist.

Dankbar bin auch für alles andere, was in Brasilien reichhaltig vorhanden ist: Lebensfreude, Optimismus und Sonne. Letztere zwar in unterschiedlicher Intensität, aber doch das ganze Jahr über präsent.

Dann das Essen. Die reinste Hölle für Vegetarier. Zartes, saftiges Fleisch, frisch vom Grill. Mit Reis, Gemüse, Salat und einem eisgekühlten Bier. Gefolgt von Süßspeisen, in die man sich am liebsten reinsetzen würde. Unter diesen Umständen sein Körpergewicht stabil zu halten erfordert eine geradezu übermenschliche Anstrengung.

Was ich darüber hinaus vermissen werde? Dass ich hier das Radio anmache und ganz selbstverständlich brasilianische Musik erschallt. Zumindest dann, wenn man den richtigen Sender wählt. Einer dieser Sender ist »104,7 FM«, gewissermaßen der öffentlich-rechtliche Sender des Bundesstaates Mato Grosso do Sul. Hier bleibt einem das nervtötende Werbegeschrei erspart, dafür muss hin und wieder die Selbstbeweihräucherung der Landesregierung ertragen. Auf jedem Ort der Welt zu empfangen via Internet.

Natürlich werde ich auch das Wetter vermissen. Warme Abende und Nächte nicht nur im Hochsommer, sondern mindestens neun Monate im Jahr.

Gewiss werden mir auch die Samba-Abende im Hinterzimmer von Luis fehlen. Das ist dort, wo man längst nicht nur Samba lernen kann. Wenn man möchte. Mittwochs und freitags ab halb acht. Die Tür ist ja immer offen.

Vermutlich habe ich mich auch daran gewöhnt, dass die meisten Menschen hier in Brasilien sehr gepflegt in Erscheinung treten. Es geht dabei in keiner Weise um Designer-Klamotten. Vielmehr um Körperpflege und saubere Kleidung. Frauen sowieso, aber auch Männer. Der Poet Vinicius de Moraes, Autor des weltberühmten Liedes »Das Mädchen von Ipanema« brachte es vor vielen Jahren bereits auf den Punkt mit den Worten: »Die sehr Hässlichen mögen mir verzeihen, aber Schönheit ist fundamental.«

Dabei meint Schönheit nicht die angeborene Perfektion der körperlichen Proportionen, sondern jene Anmut, welche in der Seele des Menschen sich formt und in der äußeren Erscheinung ihren sichtbaren Ausdruck findet.

Ich hoffe sehr, dass ich etwas von der Gelassenheit der Brasilianer und Brasilianerinnen in den deutschen Alltag hinüberretten kann. Davon kann man nicht genug haben.

Schließlich werde ich sicherlich immer wieder den überwältigenden Eindrücken nachhängen, die verschwenderische Natur mit ihrer unendlichen Weite, ihren paradiesischen Wasserfällen und ihrem immergrünen und immer fruchtbaren Land in mir hinterlassen hat.

Was bleiben wird? Wir haben ein wunderbares Land sehr intensiv kennen gelernt. Unsere Kinder haben die Kultur samt Sprache sehr gut erlernt. Wir konnten herrlichen Reisen unternehmen.

Nicht zuletzt habe ich das Gefühl, dass meine Frau und ich uns dem Sog der Scheidungsstatistik entziehen können und auch dann noch zusammen bleiben werden, wenn die Kinder mal aus dem Haus sind. Zu diesem Zeitpunkt weist diese Statistik des Scheiterns nämlich noch einmal einen deutlichen Peak aus. Im zurückliegenden Jahr konnten wir nämlich schon mal testen, wie es ist, wenn wir Alten zuhause sitzen, ohne Kinder. Schön war es. Sehr schön.

Auch der Beziehung zwischen uns Eltern und unseren Kindern hat diese Zeit gut getan. Ich merkte erst mal, was mir in den letzten Jahren alles entgangen ist, die Entwicklung meiner Kinder betreffend.

So werde ich mit einer reichhaltigen Menge an neuen Erfahrungen zurückkehren. Erfahrungen aus meiner ehrenamtlichen Tätigkeit, aus meiner musikalischen Aktivität, aus zahlreichen intensiven Naturerlebnissen, aus vielen menschlichen Begegnungen.

Noch wichtiger als all das ist jedoch das ganz konkrete Erleben der Tatsache, dass nicht Deutschland und auch nicht Europa das Zentrum des Universums sind, dass es andere Sichten auf diesen unseren Planeten gibt, die ganz andere Einblicke für uns bereithalten. Das lehrt Bescheidenheit und hilft, den eigenen Platz besser zu verstehen.

Zuletzt bleibt mir auch mein »Visto Permanente«. Das hilft. Wenn wir wieder kommen.

Das Buch zum Blog

Der Blog wird in überarbeiteter und erweiterter Fassung als Buch erscheinen. Ein Verlag hat bereits Interesse bekundet. Wenn Titel und Zeitpunkt des Erscheinens feststehen, so werde ich auf dieser Seite darüber informieren. Ich danke Euch, liebe Leserinnen und Leser, für Euer Interesse und Euer Feedback.

1 Kommentar:

  1. Das kann nicht sein :) Ein BUCH!? Man das fetzt ja - Der letzte Eintrag ist dir sehr gut gelungen. Bin gespannt auf deine Rückkehr und freue mich jetzt schon, dich wieder zu sehen!

    Hermann

    AntwortenLöschen