Sonntag, 31. Januar 2010

Sonntag, 31. Januar 2010

Einundzwanzig Tage, zwanzig Nächte und fünftausendneunhundertneununddreißig Kilometer später sind wir wieder zuhause. Unser „VW Fox 1.0“ hat die Strapazen der Reise klaglos ertragen und unzähligen Schlaglöchern getrotzt. Auch wir sind wohlbehalten an Leib und Seele, bereichert um viele Eindrücken und Erinnerungen, und mit je ca. drei Kilo mehr auf den Rippen. Schuld an Letzterem sind das gute Essen in Minas Gerais sowie die Kochkünste von Maria, der Hausangestellten meiner Schwiegermutter in Salvador da Bahia. Doch der Reihe nach.


Montag, 18. Januar 2010 und die Tage danach


Der Strand („praia“) gehört für die nächsten ca. 8 Tage also uns. Die Rede ist von der „Praia do Flamengo“. Meine Schwiegermutter wohnt dankenswerter Weise in unmittelbarer Strandnähe. Das heißt, 5 Minuten sind es schon. Zu Fuß. Das schafft man auch noch nach 3.000 Kilometern Autofahrt.


Der Strand ist „bewirtschaftet“. Es gibt kleine und größere Buden („barracas“), die ihrem Standabschnitt ihren Gästen Tische, Stühle und Sonnenschirme zur Verfügung stellen und für das leibliche Wohl sorgen. Beliebte Getränke sind „Água de Côco“, die bereits früher erwähnte grüne Kokosnuss, sowie Bier im Styroporkühler.

Das Wasser in diesem Teil des Atlantiks ist wohlig warm – 27 Grad sind es bestimmt. Der Strand besteht aus feinem weißen Sand. Noch Fragen?


Die Aufenthalte am Strand werden unterbrochen von den reichhaltigen mittäglichen Mahlzeiten, welche von Maria, der bereits erwähnten Hausangestellten meiner Schwiegermutter zubereitet werden.


Diese äußerst angenehmen Umstände begünstigen unsere rasche Erholung von den Strapazen der Reise.


Die „Praia do Flamengo“ befindet sich am nördlichen Rand von Salvador. Eine ideale Lokation für entspannten Strandurlaub. Wehe aber, man ist gezwungen, sich in das Zentrum der Stadt begeben. Mit dem Auto bedeutet dies eine gute Stunde Fahrt und eine ordentliche Portion Verkehrsstress. Mit dem Bus dauert es noch länger. Dafür entfällt der Stress weitgehend.


Salvador ist mit ca. drei Millionen Einwohnern die drittgrößte Stadt Brasiliens – hinter São Paulo und Rio de Janeiro. Sie ist überdies mit über 450 Jahren eine der ältesten Städte Brasiliens. Bis zum Jahre 1763 war Salvador obendrein Brasiliens Hauptstadt. Die Stadt liegt auf einer Art Halbinsel, welche eine große Bucht umschließt, die sogenannte Allerheiligenbucht („baia de todos os santos“). Durch diese geographische Besonderheit ist das Wachstum der Stadt nach drei Seiten durch die Bucht bzw. den Ozean begrenzt.


Die Geschichte der Stadt ist voller Wechselfälle. Allein dreimal, zuletzt 1638, wurde die Stadt von den Holländern besetzt. Das bis zum heutigen Tag prägende Ereignis war jedoch die gewaltsame Verschleppung und Versklavung von Millionen von Menschen aus Afrika.


Es wird angenommen, dass etwa 4 Millionen Sklaven Brasilien lebend erreichten. Die Zahl jener, welche die unmenschlichen Bedingungen auf den Schiffen während der Überfahrt nicht überlebten, bleibt im Dunkeln.

Brasiliens Prinzessin Isabel machte 1898 diesem menschenunwürdigen Treiben offiziell ein Ende, indem sie ihre Unterschrift unter das „Goldene Gesetz“ („Lei Áurea“) setzte.


Salvador als Hauptstadt war das primäre Ziel der Sklavenschiffe. In der Folge ist die Bevölkerung Salvadors bis zum heutigen Tage zum großen Teil afrikanischer Herkunft – „afro-brasileiros“.


Vor einigen Jahren trafen wir uns mit einer ehemaligen Studienkollegin von Oriana aus dem Süden Brasiliens in Salvador. Es war ihr erster Besuch dort. Sie konnte kaum glauben, sich im selben Land zu befinden. Es ist – etwas vereinfacht ausgedrückt – der Unterschied zwischen Europa und Afrika.


Das historische Zentrum der Stadt ist eine Welt für sich. Dass man dieses historische Terrain als Besucher genießen kann, ist in erster Linie dem Umstand zu verdanken, dass es dankenswerter Weise für den Autoverkehr gesperrt ist. Enge Gassen, bunte Häuser, vielfältiges Kunsthandwerk. Dazu eine mit 800 kg Gold verzierte Barock-Kirche, dem hl. „Francisco de Assis“ geweiht. Dazwischen dunkelhäutige „soteropolitanos“ – so nennen sich die Bewohner von Salvador –, hellhäutige Touristen, vereinzelt Bettler.


Einer der zentralen Plätze der historischen Altstadt ist der Pelourinho, seines Zeichens Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. „Pelourinho“ bedeutet „kleiner Pranger“ und ist ein deutlicher Hinweis auf die triste Geschichte.


Am Ende des Nachmittages kehren wir in einer sympathischen Pizzeria am Rande der Altstadt ein. Hier gäbe es sogar italienischen Rotwein. Doch muss ich ein mit Kindern vollbesetztes Auto zurück zur „Praia de Flamengo“ fahren. Und das zieht sich, wie gesagt. Die Pizza ist italienisch gut. Dünner Boden, knuspriger Rand. Ganz anders als die brasilianische Pizza, die sich durch reichhaltigen Belag und mit Käse gefüllten Rand auszeichnet. Auch sehr lecker, aber eben nicht italienisch.


So gehen die Tage dahin, und unsere Abreise rückt näher. Abschied nehmen will gekonnt sein. Unsere Stärken sind andere.



Neben den emotionalen Aspekten wären da noch die ganz praktischen: Welche Route wollen wir denn nehmen? Folgende Fragen wollen beantwortet werden: Welche Orte wollen wir unterwegs besuchen? Welche Straßen sind in hinreichend gutem Zustand? Wo gibt es Hotels oder Pousadas (Pensionen), die Hunde willkommen heißen? Ein komplexer Planungsvorgang also.


Man soll ja immer etwas für das nächste Mal übrig lassen. In diesem Sinne entscheiden wir uns gegen Lençois, Ausgangspunkt für Ausflüge in das Naturparadies „Chapada Diamantina“, und gegen Brasília, die auf dem Reißbrett geplante Hauptstadt Brasiliens, welche dieser Tage ihr 50-jähriges Bestehen feiert. Wir sind etwas in Eile. Der erste Schultag rückt näher, und wir wollen mindestens einen Tag zuhause zum Ausruhen haben.

Google-Maps leistet uns gute Dienste. Dennoch erweist es sich als ratsam, die lokalen Behörden anzurufen und sich nach dem Straßenzustand zu erkunden. Der Aufwand sollte sich auszahlen.


Es ist eine einfache Rechnung: In Deutschland leben pro Quadratkilometer ziemlich genau zehnmal so viele potentielle Steuerzahler als in Brasilien. In einem Land wie Brasilien ist es daher ungleich schwieriger, diese viele tausend Kilometer Straßen in Schuss zu halten.


Wir entscheiden uns für die Route durch Minas Gerais. Diese Region hat es uns angetan. Wir finden Pousadas, an denen wir mit Hund nächtigen können. Und der Weg sollte uns an Peirópolis vorbeiführen, der zauberhaften Pousada von Paulinho, die wir ja bereits kennen.


Mittwoch, 27. Januar 2010


Am Vorabend der Abreise verkünden wir den Aufbruch für 7 Uhr morgens. Mit dem unausgesprochenen Ziel, gegen halb acht loszukommen. Der Plan geht auf. Der Abschied von Mutter, Oma, Cousin, Cousine, Nichte, Neffe und Maria ist kurz, aber intensiv. Wir sehen uns wieder. Bestimmt.


Die erste Tagesetappe ist nach bewährter Manier eine anspruchsvolle. 750 Kilometer, zu bewältigen in etwa 11 Stunden. Einen höheren Schnitt anzunehmen wäre unrealistisch. Das haben wir inzwischen gelernt.


Am Anfang geht es nur zäh voran. Man könnte meinen, alle LKWs von Bahia hätten sich für heute Morgen hier verabredet. Das Ziel unserer Tagesetappe gerät ins Wanken. Die Landschaft ist hügelig, mit kargem Bewuchs. Große Teile von Bahia sind sehr trocken.


In der zweiten Tageshälfte kommen wir zügiger voran. Nach kurzer Abstimmung aller Wageninsassen halten wir an unserem Tagesziel fest.


An der Grenze zwischen Bahia und Minas Gerais wandelt sich die Landschaft innerhalb weniger Kilometer. Das karge Braun Bahias wandelt sich in ein saftiges grünes Meer in Minas Gerais. Ein beeindruckendes Schauspiel.

Wir erreichen die Stadt Salinas und finden unsere Pousada – laut Internet die einzige, die Hunde akzeptiert. Das Etablissement ist schlicht. Sehr schlicht. Der Preis von 50 Reais (20 Euro) für ein Zimmer für uns ist angemessen.


Es handelt sich dabei nicht um jenes Salinas, in dessen Nähe Janis Joplin anno 1970 ihren Weggefährten Bobby McGee ziehen ließ. („And then somewhere near Salinas, Lord, I let him slip away…“)


Dieses Salinas ist vielmehr brasilienweit bekannt für den guten Zuckerrohrschnaps („cachaça“). Vielfach wird dieser Stoff mit Limettensaft, Zucker und Eis vermischt. Dann nennt man das „caipirinha“. Edlere Varianten davon trinkt man schon auch mal ohne weitere Zutaten. 48% Alkohol. Im Restaurant, in dem wir zu Abend essen – einfache, aber gute „comida caseira“ vom Buffet – wird natürlich auch „cachaça“ zum Verkauf angeboten – Verkostung inklusive. Unsere Wahl ist schnell getroffen. Das Produkt der Marke „beija-flor“ („Kolibri“) überzeugt uns.


Donnerstag, 28. Januar 2010


Das in unserer Pousada angebotene Frühstück passt zum gesamten Ambiente, so dass wir dankend ablehnen und stattdessen in einer nahegelegenen Bäckerei uns stärken.


Es bleibt die ernüchternde Erkenntnis, dass vermutlich ein Viertel aller Brasilianer in Verhältnissen wohnen, die mindestens so ärmlich sind, wie die unserer Pousada.


Vor uns liegt geradezu ein Katzensprung von nicht einmal 400 Kilometern. Ich ahne, dass unsere nächste Unterkunft ein Balsam für Leib und Seele werden wird.


Bis es so weit ist, will aber wiederum der eine oder andere LKW überholt werden. Meine Erwartung wird erfüllt. Doch inzwischen sind wir routiniert unterwegs auf Brasiliens Straßen.


Ziel erreicht nachmittags gegen halb vier. Alberto, gebürtiger Italiener aus Padua, hat am Ufer des „Rio São Francisco“ ein kleines Paradies erschaffen. Als gläubiger Katholik sieht er natürlich Gott in der Rolle des Schöpfers und sich selbst als demütiges Werkzeug. Wie auch immer die Rollenverteilung gewesen sein mag – auf acht Hektar Land entlang des Flusses findet man heute charmante Appartments, ein Restaurant, einen Swimming-Pool, ein Fitnessstudio, zwei Teiche, ein Freigehege für „Emas“, die brasilianische Variante des Straußenvogels. Der Hausherr selbst schnitzt darüber hinaus Heiligenfiguren und unterhält seine Gäste musikalisch.


Nein, er möchte nicht mehr zurück nach Italien. Hier in Brasilien, da kann man noch träumen. Sagt er. Wenngleich Perfektionisten (und er ist wohl ein solcher) es hier schwer haben. Vor allem, wenn es um einfache handwerkliche Dienstleistungen geht. Auch nach 18 Jahren in Brasilien, lässt er uns wissen, wacht er morgens immer noch als Italiener auf. Um die Mittagszeit dann verwandelt er sich jeweils in den Brasilianer, der alles etwas lockerer sieht.


Ab Abend speisen wir im hauseigenen Restaurant am Fischteich mit Blick auf den dahinter liegenden Fluss. Italienische Gerichte, dazu eine Flasche eisgekühlten Lambruscos. Was will man mehr.


Freitag, 29. Januar 2010


Eine der Attraktionen in Pirapora der knapp hundertjährige Schaufelraddampfer „Benjamin Guimarães“, der einst schon auf dem Mississippi unterwegs war. Allerdings finden die Ausflüge nur sonntags statt. Muss also auch bis zum nächsten Mal warten.


Die Versuchung, zu verweilen, ist dennoch von beträchtlichem Ausmaß. Doch morgen Abend wollen wir in Campo Grande sein. Von unserem Ziel trennen uns noch ca. 1.300 Kilometer. Nächstes Ziel: Peirópolis. Entfernung: Knapp 500 Kilometer.


Wir kommen ausgesprochen zügig voran. Mit der beflügelnden Aussicht auf ein Abendessen bei Dona Albertina beschränken wir das Mittagessen auf ein Minimum. Ein kurzer Stopp in Araxá muss jedoch sein. Nicht der Kultur wegen, sondern vielmehr, um abermals bei Dona Joaninha einzukaufen. Dona Joaninha ist brasilienweit berühmt für ihre einzigartigen Süßspeisen, wie etwas „doce de leite“ („das Süße von der Milch“).


Diese klassische Süßigkeit bekommt man hierzulande an jeder Ecke. Aber nirgends schmeckt sie so gut wie hier. Das Geheimnis? Fleiß und Schweiß. Es handelt sich nämlich um gezuckerte Milch, unter ständigem Rühren eingekocht wird. Dabei handelt es sich offenbar um einen sehr sensitiven Vorgang, den man keiner Maschine überlassen darf, der vielmehr von Menschenhand ausgeführt werden muss. Sage und schreibe acht Stunden lang. Diese Beharrlichkeit zahlt sich aus. Man riecht und schmeckt sie und zahlt gerne dafür. Neben dem klassischen „doce de leite“ werden unzähligen Varianten, etwa in Kombination mit Früchten wie Ananas („abacaxi“) oder Nüssen („nozes“) angeboten. Die Qual der Wahl.


Derart süß beladen machen nehmen wir Kurs auf Peirópolis. Paulinho erwartet uns bereits. Wir haben uns angekündigt. Selbst der einsetzende Regen kann die Freude nicht trüben. Dieser Ort ist bei jedem Wetter einladend schön.


Auch auf Dona Albertina können wir uns verlassen. Am Ende der Mahlzeit bleibt diese merkwürdige Trauer darüber, dass man nicht noch mehr essen kann. Auch Dona Albertina bietet Selbstgemachtes zum Verkauf an. In Pfefferschoten und Öl eingelegter Bambus etwa. Irgendwo ist bestimmt noch Platz im Auto. Wir greifen gerne zu.


Samstag, 30. Januar 2010


Eine wundervolle Reise nähert sich ihrem Ende. Zufall oder nicht – heute ist Orianas Geburtstag. Was sie sich wünscht? Heute Abend in ihrem eigenen Bett schlafen. Trotz all der wundervollen Erlebnisse in den letzten 20 Tagen – irgendwann will man einfach wieder in seine gewohnte Umgebung zurück.


Übersetzt in Kilometer und Stunden heißt dies: Ca. 830 Kilometer in geschätzten 11 Stunden. Jetzt ist nicht die Zeit für Experimente. Wir beschließen, dieselbe Route wie beim Hinweg zu benutzen – wohlwissend, dass uns zwischen den Orten Inonência („Unschuld“) und Água Clara („Klares Wasser“) gute einhundert Kilometer Schlaglöcher erwarten. Worauf es ankommt, ist, diesen kritischen Teil der Strecke bei Tageslicht – und idealerweise bei trockenem Wetter – hinter uns zu bringen. Dann sind die Löcher nämlich gut auszumachen, da die darunterliegende Erde rot bzw. rostbraun gefärbt ist und sich deutlich vom grauen Asphalt abhebt. Wenn es aber regnet, und dies, wie wir wissen, dann in der Regel sehr heftig, sind die Löcher im Nu voller Wasser, und die braunen Erdreste sind ebenso schnell weggespült.


Wir erreichen die kritische Strecke gegen 15 Uhr. Also, dann mal los. Das Verkehrsaufkommen ist nahe bei Null. Alle 5 bis 10 Minuten begegnet uns ein Auto. Wir haben die Straße praktisch für uns alleine und können den Löchern auch unter Nutzung der Gegenfahrbahn ausweichen.


Na also, geht doch. Da, ein Gürteltier („tatu“) auf der Straße. Es knabbert an einem toten Artgenossen. Wir halten kurz, um den Kadaver von der Straße zu schieben, auf dass dem anderen ein ähnliches Schicksal erspart bleibe.


Was ist das? Ein Baum ist auf die Straße gestürzt. Zum Glück ist nur eine Spur blockiert. Das müssen wir der Straßenpolizei melden. Wenn wir wieder Handy-Empfang haben, also etwa in einer Stunde.


Dann der Showstopper. Ein LKW ist offenbar von der Straße abgekommen. Der Fahrer versuchte wohl das Steuer herumzureißen, mit dem Ergebnis, dass der Koloss auf Rädern nun die ganze Straße blockiert. Polizei ist nicht in Sicht. Was sollte die auch ausrichten? Jetzt sind Männer mit schwerem Gerät gefragt. Ein riesiger Traktor, offenbar von einem Fazendeiro aus der Gegend, versucht, die Karre aus dem Dreck zu ziehen. Das wird dauern. Die andern LKWs müssen warten. Wir aber können dankenswerter Weise die steile Böschung hinuntergleiten und abseits der Straße auf weicher Erde im ersten Gang das Hindernis umfahren. „VW. Das Auto.“


Wie war noch gleich unser Wunsch? Trockenen Fußes und bei Tageslicht Água Clara erreichen. Dem Wunsch wird stattgegeben. Der Regen kommt mit gewaltiger Wucht kurz hinter Água Clara. Da sind wir zwar wieder auf einer ordentlichen Bundesstraße. Der peitschende Regen nimmt uns jedoch bisweilen fast vollständig jegliche Sicht. Ist Anhalten eine Alternative? Nicht wirklich. Das würde uns der Dunkelheit nur näher bringen. Unsere Strategie ist, möglichst dicht hinter einem langsamen LKW herzufahren, auf dass dieser uns mit seinen Rücklichtern den Weg weise und uns irregeleitete entgegenkommende Fahrzeuge vom Leib halte.



Es wird ein hartes Stück Arbeit. Doch auch der heftigste Regenguss verebbt irgendwann einmal. Siehe da, bei Einbruch der Dunkelheit scheinen uns die ersten Lichter von Campo Grande Peripherie entgegen. Die Erleichterung an Bord ist mit Händen zu greifen. Der Herrgott hat es wieder einmal gut mit uns gemeint.


Sonntag, 31. Januar 2010


Epilog. Ausschlafen war früher. Der Rhythmus unseres Hundes ist aber auch durch nichts zu erschüttern. Morgens um sechs Uhr, halb sieben allerspätestens, muss er raus. Dabei könnte er sich im Garten austoben. Nein, die Straße muss es sein. Ich stelle mich tot und komme mit dieser Masche durch. Dieses eine Mal zumindest.


Dienstag, 19. Januar 2010

Dienstag, 19. Januar 2010

Wir sind inzwischen in Salvador, der Hauptstadt des Bundesstaates Bahia angekommen. Mehr als 3.000 Kilometer haben wir in den letzten acht Tagen zurückgelegt. Mit jedem Kilometer haben wir dieses Land ein kleines Stück besser kennen gelernt und verstanden.


Samstag, 9. Januar 2010: Aufbruchsstimmung


Morgen früh gegen 5 Uhr wollen wir aufbrechen. Es wird mit knapp 6.000 km die längste (terrestrische) Reise meines Lebens werden. Dies gilt für die anderen Familienmitglieder inklusive Hund ebenfalls.


Aufbrechen heißt immer, die gewohnte Umgebung zurückzulassen. Es sind Momente wie diese, in denen mein „innerer Dialog“ sehr lebendig wird. Während der Abenteurer in mir fragt, warum ich denn nicht schon längst unterwegs sei, rät der Besonnene in mir zu überlegtem Planen und Handeln. In der Vergangenheit kam es auch schon mal vor, dass der eine den anderen mit einem völlig überraschend vorgetragenen Angriff überrumpelte. Das soll mir dieses Mal – und auch in Zukunft – nicht mehr passieren. Also: Starttermin festlegen, Listen anfertigen und abarbeiten.


Unter anderem ist sicherzustellen, dass sich jemand um unser Haus kümmert. Unsere Nachbarn haben sich freundlicherweise dazu bereit erklärt. Dafür dürfen sie sich bei den Mangos („mangas“), Avocados („abacates“) und Bananen („bananas“) nach Herzenslust bedienen. Überhaupt die Mangos. Ich bin tief beeindruckt, welch gewaltige Menge an herrlichen Früchten ein einziger Baum dieser Gattung hervorzubringen vermag. Ich habe gelernt, dass die Früchte unserer Mangosorte am Baum nicht reifen. Vielmehr nimmt man sie in hartem Zustand ab. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man ist sie in „grünem“ Zustand mit Salz, auch als Zutat für Salat. Oder man wickelt sie in Zeitungspapier ein und lässt sie einige Tage liegen, bis sie weich und zuckersüß geworden sind. Eine höchst erstaunliche Frucht, wie ich finde.


Sonntag, 10. Januar 2010: Regen bei Nacht


Eine Reise dieser Größenordnung will einigermaßen gut geplant sein. Eine Einteilung in realistische Tagesetappen ist oberstes Gebot. Die Etappe des ersten Tages soll die längste der ganzen Reise sein. Dazu brechen wir bereits frühmorgens vor 5 Uhr auf. Der Hintergedanke ist natürlich, dass die Kinder im Auto weiterschlafen und wir bereits über alle Berge sind, wenn sie aufwachen. Der Plan sollte aufgehen. Zunächst aber ist es noch dunkel. Und es regnet.


Wir verlassen unsere Stadt in östlicher Richtung. Schnell gewinnen wir die Erkenntnis, dass wir Fahren im Dunkeln aufgrund der teilweise sehr spärlichen Straßenmarkierungen künftig vermeiden wollen. Wir kommen dennoch gut voran. Kinder und Hund schlafen wie vorgesehen. Nach etwa einer Stunde erscheint das ersehnte Licht am Horizont. Hallo, Welt.


Nach etwa 200 Kilometern verlassen wir die Bundesstraße BR-262 und nehmen die Landstraße MS-377. Der Zustand der Straße verschlechtert sich augenblicklich. Da gibt es was zu tun, Herr Governeur! Denken Sie an die Wahlen in diesem Jahr!


Der beklagenswerte Zustand des Straßenbelags wird einigermaßen aufgewogen durch die Abwesenheit von Verkehr. Wir haben die Straße praktisch für uns allein und können in sportlicher Manier die Schlaglöcher umfahren.


Nach etwa 400 Kilometern passieren wir die Grenze zum Bundesstaat Minas Gerais. Der Name bedeutet so viel wie „Allgemeine Minen“ und deutet darauf hin, dass dort in der Vergangenheit nach allerlei Rohstoffen im Boden geschürft wurde. Nicht irgendwelches unedle Material wurde gesucht und gefunden, sondern Gold, Silber und Edelsteine. Von diesem einstigen Reichtum zeugen heute noch zahlreiche Bau- und Kunstwerke.


Unsere Strecke ist gesäumt von endlosen Zuckerrohrfeldern mit den zugehörigen „usinas“, „End-to-End“-Produktionsstätten für jenen Ethanol, den wir alle paar hundert Kilometer in den Tank unseres Autos füllen.


Etwa alle 50 Kilometer passieren wir eine Stadt: Iturama, São Francisco de Sales, Itapagipe, Frutal, Conceição de Alagoas und schließlich Uberaba, die mit 350.000 Einwohnern größte Stadt der Region.


Wenige Kilometer danach sind wir am Ziel: Die Pension („pousada“) „Estação do Dinossauro“ in Peirópolis, ein Ort von bezauberndem Charme und einnehmender Harmonie. Paulinho, der die Pension vor 2 Monaten übernommen hat, empfängt uns mit herzlicher Freundlichkeit und richtet in Windeseile 2 Zimmer für uns her. Das Gebäude ist hundert Jahre alt. Die Räume sind daher hoch, statt einer Klimaanlage sorgt ein ruhig kreisender Deckenventilator für ein angenehmes Lüftchen. Herrlich.


Der Name der Pension leitet sich von zwei Besonderheiten ab: Das Gebäude gehörte früher zu örtlichen Bahnstation („estação“). Und: Diese Gegend ist archäologisch bedeutsam aufgrund der zahlreichen Funde von Dinosaurierfossilien, die im Museum neben an bewundert werden können. Ein urzeitliches Krokodil verewigt den Namen der Region: „Uberabasuchus terrificus“, das schreckliche Krokodil von Uberaba.


Die Pension ist ein kleines Paradies: Mit üppigen Obstgarten, lauschigen Sitzecken innerhalb und außerhalb des Hauses, einem erfrischenden Schwimmbad.


Die vielen Stunden der Fahrt sind schnell abgeschüttelt und vergessen. Neben der Pousada befindet sich ein einfaches Restaurant, welches aber gerade dabei ist, seine Pforten zu schließen. Kein Problem. Da ist ja noch Dona Albertina, eine ältere Dame, die in ihrem Haus nach Voranmeldung einfache Mahlzeiten anbietet. Jeder bedient sich nach Herzenslust direkt in der Küche. Einfache Kost, vollendet im Zusammenspiel der Düfte und Geschmäcker. Erinnert sich jemand, wann wir in letzter Zeit besser gegessen haben? Minas Gerais ist für seine ausgezeichnete Küche berühmt.


Am Abend drückt Paulinho mir eine Gitarre in die Hand. Er selbst bedient ein trommelartiges Instrument, Oriana singt. Einfaches, dennoch seltenes und daher kostbares Vergnügen.


Montag, 11. Januar 2010: Weil’s so schön ist…


Eigentlich wollten wir ja heute gleich weiterziehen. Weil es aber hier so schön ist, bleiben wir noch einen Tag. Und Dona Albertina kocht ja auch mittags.


Andere Pensionsgäste erzählen uns von einem weiteren schönen Ort ganz in der Nähe unserer nächsten Tagesetappe. Ich bin gespannt, wo wir die übernächste Nacht verbringen werden.


Erst aber genießen wir diesen friedlichen Tag. Ein Besuch im Dinosaurier-Museum, ein Spaziergang zum nahegelegenen Wasserfall, eine Unterhaltung mit Paulinho und dessen Freunden unter einem schattigen Baum. Dazu zwei Spezialitäten aus Minas: Käse und gereifter Zuckerrohrschnaps („cachaça“). Die Themen lassen nichts aus: Politik, nachhaltige Lebensweise und vieles mehr.


Und abends dürfen wir ein weiteres Mal die grandiosen Gerichte von Dona Albertina genießen. „Comida caseira“ nennt man das hier. Der Ausdruck „Hausmannskost“ trifft es nur annähernd. Es ist das Essen, was in den Häusern der einfachen Leute Tag für Tag zubereitet wird. Zubereitet wird das, was der Boden hergibt: Reis, Bohnen, Gemüse, ein wenig Fleisch. All das vereinigt zu einen harmonischen Ganzen, das keinen Schnaps zur Verdauung benötigt.


Dienstag, 12. Januar 2010


Wehmütig verlassen wir diesen wunderschönen magischen Ort. Kann man innerhalb von knapp zwei Tagen eine Freundschaft schließen? Offenbar schon.


Innerhalb einer Stunde erreichen wir die Stadt Araxá, Heimat von Dona Beja. Diese Dame wird im 19. Jahrhundert als Jugendliche an einen reichen portugiesischen Fazendeiro verschleppt und als Geliebte „gehalten“. Später, als dieser von seinem König nach Portugal zurückbeordert wird, lässt er sie – mit einem stattlichen Vermögen – zurück. Mitnehmen kann er sie nicht, da in Portugal seine Ehefrau wartet. Als reife Frau gelangt Dona Beja zu erheblichem politischem Einfluss in der Region.


Vor uns liegt nun Belo Horizonte („Schöner Horizont“), die sechstgrößte Stadt Brasiliens und Hauptstadt von Minas Gerais. Im Großraum „BH“ wohnen ca. fünf Millionen Menschen. Auf dem Weg dorthin sind verschiedene Bergzüge („serras“) zu überwinden und noch mehr schwer beladene LKWs zu überholen. Trotz aller Hindernisse kommen wir gut voran.


Auf unserem Weg zu unserem Tagesziel müssen wir an Belo Horizonte vorbei. Rauf auf den Autobahnring, dann die Ausfahrt Richtung Rio de Janeiro nehmen. Ganz einfach, eigentlich. Wäre da nicht ein nicht enden wollender Stau, der uns nahezu zwei Stunden unseres Lebens kostet.


Doch die Zuversicht an Bord schwindet nicht. Vielmehr entstehen höchst kreative Ideen. Wie etwa, was zu tun wäre, wenn mitten im Stau, ohne Standstreifen, der Hund mal „muss“. Man könnte ihn ja einfach mal kurz aus dem Fenster heben.


Aber auch der längste Stau endet irgendwann einmal. Und so kommen wir – nach Sonnenuntergang – wohlbehalten in unserer Pousada in Mariana, der ersten Hauptstadt von Minas Gerais, an. Ein Sprung in den Swimming-Pool, und die Strapazen der Reise sind abgeschüttelt.


Mittwoch, 13. Januar 2010


Der heutige Tag gehört der Geschichte und der Kultur. Nach einem üppigen Frühstück („café da manhã“) brechen auf in das wenige Kilometer entfernte Ouro Preto, dessen Altstadt seit 1980 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört.


Der Name Ouro Preto bedeutet auf Deutsch „Schwarzes Gold“. Vor gut dreihundert Jahren entdeckt man Gold in dieser Gegend. Dieses ist zwar zunächst nicht als solches erkennbar, da es durch Eisenoxyd-Verunreinigungen schwarz gefärbt ist. Es dauert jedoch nicht lange, und ein wahrer Goldrausch wird entfacht.


Auf dessen Höhepunkt hat Ouro Preto 150.000 Einwohner, während zu diesem Zeitpunkt in der damaligen Bundeshauptstadt Rio de Janeiro gerade mal 40.000 Menschen wohnen. Der größte Teil der Bewohner sind Männer, darunter viele afrikanische Sklaven, die die schwere Arbeit unter Tage zu verrichten haben.


Die Goldvorkommen sind von dramatischem Ausmaß. Man schätzt, dass zwischen 1700 und 1800 etwa 1.000 Tonnen Gold aus der Erde geholt wurden. Ein erheblicher Teil davon wurde nach Portugal verschifft. Brasilien ist zu dieser Zeit noch portugiesische Kolonie. Von Portugal aus wiederum wandert ein großer Teil des Goldes nach England. Heute würde man sagen, dass Portugal damals ein großes Handelsbilanzdefizit mit England hatte. Die industrielle Revolution im England des achtzehnten Jahrhunderts wurde daher zu einem großen Teil mit dem Gold aus dem brasilianischen Ouro Preto bezahlt.


Unser Stadtführer mit dem markanten Namen Herculano erzählt uns im Laufe des Tages viele Geschichten. Darunter diese: Wenn man eine der zahlreichen prunkvoll gestalteten Kirchen betritt, so gelangt man zunächst in einen Vorraum, von dem aus der Blick zum Altar durch eine Wand verstellt ist. Diese Wand diente zweierlei Zwecken: Erstens sollte sie den Luftzug durch das Kirchenschiff bremsen und so das unerwünschte Auslöschen von Kerzen verhindern. Zweitens verwies sie die Armen, die Elenden, die Habenichtse in ihre Schranken: Bis hierher und nicht weiter. Die „Mittelschicht“ durfte ins Kirchenschiff vorrücken, für die Oberschicht waren, wie in Theatern, Logen im Obergeschoß reserviert. Von dort hat man eigentlich gar keinen Blick auf den Altar. Aber das war wohl auch nicht weiter relevant. Der sonntägliche Kirchgang diente zu dieser Zeit offenbar in erster Linie dem „Networking“.


Trotz dieser wechselvollen Geschichte sind wir tief beeindruckt von der prachtvollen Gestaltung der Kirchen im Inneren. Ein Name wird immer wieder genannt: „Aleijadinho“. Ein Ausnahmebildhauer zu jener Zeit, der im Alter an einer degenerativen Krankheit litt. Im fortgeschrittenen Stadium, als seine Finger bereits verkümmert waren, ließ er sich Hammer und Meißel an seine Hände binden, um so weiter arbeiten zu können. Manchmal bringt großes Leid große Taten hervor. Ich hoffe inständig, dass es auch anders geht.


Neben der genannten Dreiklassengesellschaft wären da noch die Sklaven. Die Sklaverei wird in Brasilien offiziell 1888 abgeschafft. Zur Zeit des Goldrausches im achtzehnten Jahrhundert ist die sie also noch allgemein gesellschaftlich akzeptiert. Dies gilt auch für die Kirche. Schwarze gelten nicht als Menschen, sondern als Sachen. Sie werden nicht getauft, dürfen keine Kirchen besuchen. Umso erstaunlicher ist es, dass es in Ouro Preto eine Kirche gibt, die von ehemaligen Sklaven erbaut wurde. Die Eindrücke des Tages lassen uns in sehr nachdenklicher Verfassung zurück.


Donnerstag, 14. Januar 2010


Ein Muster beginnt sich abzuzeichnen: An den geraden Tagen reisen wir, an den ungeraden Tagen ruhen wir aus oder machen „Sightseeing“. Heute also wieder reisen. Von Mariana aus nehmen wir die Straße Richtung Norden nach Santa Barbara. Das Gelände ist nach wie vor sehr hügelig, fast gebirgig. Entsprechend kurvenreich verläuft die Straße. Entschädigt werden wir durch fantastische Ausblicke in Täler und auf Berge, von denen einige jedoch einen „angefressenen“ Eindruck machen. Hier werden in großem Stil Rohstoffe aus der Erde geholt, Eisenerz unter anderem. Irgendwo muss der Stahl für Autos, Schiffe etc. ja herkommen. Der Preis des Fortschritts.


Kurz nach Santa Barbara fahren wir auf die Bundesstraße BR-381 auf. Die Hoffnung, dort schneller voranzukommen erfüllt sich nicht. Die Landschaft bleibt atemberaubend, doch unsere Durchschnittsgeschwindigkeit bleibt hinter den Erwartungen zurück. Man kann eben nicht alles auf einmal haben.


Erschwerend kommen verschiedene Baustellen hinzu, an denen der Verkehr abwechselnd nur auf einer Spur fließen kann. Auch in Brasilien scheint es also beliebt zu sein, ausgerechnet zur Hauptreisezeit die Straßen auszubessern.


Gerade noch vor Einbruch der Dunkelheit verlassen wir den Bundesstaat Minas Gerais. Von den Straßenverhältnissen abgesehen, bleibt ein begeisterter Eindruck zurück. „Minas“ ist grandios. Wir wollen auf jeden Fall mal wieder zurückkehren und mehr davon entdecken.


Nun sind wir im Bundesstaat Espirito Santo – „Heiliger Geist“. Inzwischen ist es dunkel, und wir haben noch nichts gegessen. Am Straßenrand sehen wir ein Haus, das nicht wirklich wie ein Restaurant aussieht, vor dem aber mehr Stühle stehen als vor einem normalen Wohnhaus. Wir fragen mal. Ja, es gibt Abendessen. Selbstbedienung. Wir bedienen uns. Einfache, ordentliche Kost, für knapp 10 Euro. Für uns alle zusammen. Kann man nicht meckern. Noch dazu, wenn man bedenkt, dass die Wirtsleute uns darauf aufmerksam machten, dass wir auf dem Holzweg waren. Einmal eben nicht aufgepasst und falsch abgebogen. Muito obrigado.


Weiter geht’s. Der Sternenhimmel beleuchtet unseren Weg. Und die Reflektoren auf der Straße. Rechts in weiß, der Mittelstreifen in gelb, der linke Rand in rot. Ziemlich logisch, wenn man bedenkt, dass wir im Land des Fußballs unterwegs sind.


Schließlich kommen wir doch noch in unserer Pousada an. Wir riechen das Meer. Zu mehr reicht es jedoch nicht mehr. Es ist fast Mitternacht. Wir sind müde. Hauptsache einen Platz zum Schlafen. Egal wo und wie.


Freitag, 15. Januar 2010


Unsere Pousada ist das Gegenteil von den Kirchen in Ouro Preto. Während jede Kirchen von außen einen eher beklagenswerten Eindruck machen, sind sie innen äußerst prachtvoll. Damit ist eigentlich alles gesagt. Das Etablissement befindet sich in der ersten Reihe, mit direktem Zugang zum Strand. Dazu Schwimmbad. Das hat seinen Preis. Das wird bei den Zimmern dann wieder eingespart. Isaac, unser „single point of contact“ tut sein Bestes, kann die beengten Verhältnisse aber auch nicht ändern.


Wir frühstücken und verbringen einen entspannten Vormittag am Strand. Dabei beschließen wir, unseren Rhythmus zu durchbrechen und bereits am Nachmittag weiterzufahren. Man kennt das ja: Wenn Mäuse auf beengtem Raum gehalten werden, dann führt das zu Stress und Aggressivität. Wir wollen vermeiden, dass es so weit kommt. Also packen und zahlen.


Und schon stehen wir vor einer weiteren Herausforderung. Die Kreditkartenmaschine funktioniert leider nicht, und unsere Barbestände reichen nicht aus, um unsere Verbindlichkeiten zu begleichen. Also Geld abheben. Nun ist es in Brasilien nicht so, dass man als Kunde einer Bank bei allen anderen Banken Geld abheben kann. Wir haben Glück und bekommen Bargeld. Hätte das nicht geklappt, so hätten wir auch noch einen Plan B in der Tasche gehabt: Echte Euros, die wir in einer „casa de câmbio“ in brasilianische Reais (1 Real, mehrere Reais) verwandeln könnten.


Wir würden vor der Abreise gerne noch einen gebratenen Fisch verzehren. Allerdings wird uns der Eintritt verwehrt. Schuld ist der Hund. Also begnügen wir mit ein paar „pasteis“. Ein „pastel“ ist eine in Öl gebackene Teigwaren, die mit Käse und/oder Fleisch gefüllt ist.


Die vor uns liegende Tagesetappe beläuft sich auf geschätzte 350 km. Der größte Teil davon verläuft auf der Bundesstraße „BR-101“, welche die gesamte brasilianische Ostküste durchzieht. Diese Bundesstraße, die wichtigste Brasiliens, besitzt die stolze Länge von über 4.500 Kilometern.


Nach etwa 50 Kilometern überqueren wir die Grenze von Espirito Santo nach Bahia. Bahia ist der fünftgrößte Bundesstaat und etwa so groß wie Frankreich. Knapp 1.000 Kilometer der obengenannten „BR-101“ verlaufen allein durch Bahia. Die Hauptstadt von Bahia ist Salvador. Wenn nicht das Ziel, so doch der Wendepunkt unserer Reise.


Die Landschaft ist geprägt von karger Vegetation, versetzt mit Eukaliptus-Plantagen. Dieser Baum ist in Brasilien nicht heimisch, wächst aber wohl auch auf anspruchslosem Gelände und lässt sich zu Möbeln und Papier verarbeiten.


Das Gelände ist nach wie vor hügelig bis gebirgig, entsprechend ist der Straßenverlauf. Unzählige schwerstbeladene LKWs quälen sich im Schritttempo die Hänge hinauf. Doch auch bergab kommen sie vielfach nicht viel schneller voran. Ich vermute mal, sie trauen – mit Recht – ihren Bremsen nicht allzu viel zu.


Viele Brasilianer besitzen – nach den waghalsigen Überholmanövern zu schließen, ein sehr ausgeprägtes Gottvertrauen. Immer wieder drängen Autofahrer millimetergenau in die Lücke vor uns, um so einen Platz gut zu machen.


Wir kommen vorbei am Nationalpark Monte Pascoal. Dieser Park wird heute von Indios verwaltet. In drei Stunden kann man den Berg erklimmen und dort auf das 38 km entfernte Meer hinabblicken. Vor gut 500 Jahren, als die ersten Portugiesen hier landeten, war es umgekehrt. Sie erblickten vom Meer aus diesen Berg.


Wir sind inzwischen angelangt an der „Costa do Descobrimento“, der „Entdeckungsküste“. Hier begann die Eroberung Brasiliens durch die Weißen. Hier liegt auch das Ziel unserer Tagesetappe: Trancoso.


Trancoso ist ein beliebter Urlaubsort, der jedoch – so die Beschreibung – einen ganz besonderen Charme besitzen soll. Nach einem langen Dornröschenschlaf wird der Ort in den siebziger Jahren von den sogenannten Hippies wieder entdeckt.


Unsere Pousada in Trancoso erweist sich – zum zweiten Mal auf dieser Reise – als kleines Paradies. Ein wenig abseits vom Ortszentrum gelegen sind kleine Appartmenthäuschen in einem weitläufigen Garten verteilt. Viel Holz, viel Keramik. Ein wunderbar natürliches Ambiente, welches uns sofort in den Bann zieht. Allerdings ist es hier in Trancoso nicht der Charme von alten Gemäuern, sondern vielmehr das harmonische Zusammenspiel von Natur und Bauwerk.


Von der Besitzerin und ihrer Tochter erfahren wir, dass die Pousada seit fast 30 Jahren existiert. Früher, als der Ex-Ehemann, der Deutsch, Englisch und Spanisch spricht, noch da war, kamen viele ausländische Gäste hierher. Nun will die Tochter richtig Englisch lernen, um daran wieder anknüpfen zu können. Die Sprachbarriere ist nach wie vor ein großes Hemmnis für den internationalen Tourismus. Kaum ein Nicht-Brasilianer beherrscht dieses exotische Portugiesisch. Und nach wie vor sprechen wenige Brasilianer gutes Englisch.


Auf dem Gelände könnten sie jederzeit eine große Anzahl von hühnerkäfiggroßen Gästezimmern errichten und damit vermutlich einen deutlich größeren Profit erzielen. Wir sind Ihnen dafür dankbar, dass sie es nicht tun.


Zum Abendessen begeben wir uns zum „Quadrado“, dem angeblich schönsten Platz an der gesamten brasilianischen Küste. Und die ist über 7.000 km lang. Nun, der Platz ist nicht quadratisch, sondern hat eher die Form eines langgestreckten Rechtecks. Der Rand des Platzes ist gesäumt von vielen kleinen Geschäften sowie Restaurants und Bars. Wir folgen der Empfehlung unserer Gastgeber und speisen im „Sabor da Bahia“ („Geschmack von Bahia“). Gegrillter Fisch mit Reis und Salat, dazu noch ein Teller mit gebratenen Shrimps („camarão“) sowie für mich eine Caipirinha. Besser geht’s nicht.


Wo aber ist der Strand? Auf meine Frage an eine Frau aus dem Ort bekomme ich die sinnige Antwort, dass wir morgen früh einfach dem Fluss der Menschen („fluxo“) folgen sollen. Ach ja, es ist Hochsaison.


Wir betten uns zur Nachtruhe. Klimaanlage ist zwar vorhanden, bleibt aber ausgeschaltet. Stattdessen lassen wir den Deckenventilator kreisen und – öffnen die Fenster. Ja, es gibt Moskitos, aber auch Moskitonetze, welche in weichen Wellen von Decke herabhängen und die Betten umfassen.


Samstag, 16. Januar 2010


6 Uhr morgens. Die himmlische Ruhe weckt mich. Das Aufstehen ist schwerelos. Bei Tageslicht offenbart die „Pousada do Bosque“ („Waldpension“) ihre ganze Pracht. Ein grünes Meer mit kleinen bunten Inseln in Form von individuell gestalteten Appartmenthäuschen. Ein Genuss für Mensch und Hund.


Das Frühstücksbuffet lässt keine Wünsche offen. Gut gesättigt richten wir den Blick in den Tag. Wie schon bei unserer ersten Station nehmen wir uns die Freiheit, noch einen Tag zu bleiben. Wir müssen zwar in ein anderes Appartment umziehen, aber das ist rasch erledigt.


Es wird schnell heiß. Strand oder nicht Strand? Die Meinungen sind geteilt. Während Damen und Hund es vorziehen, in der Hängematte zu entspannen, machen die Männer sich zu Fuß auf den Weg zum Strand. Hoch zum zentralen Platz, dem Quadrado. Am Ende des Platzes bei der Kirche empfängt uns ein überwältigender Ausblick auf den „Kokospalmenstrand“ („praia dos coqueiros“). Palmen, weißer Sand, grün schimmerndes Meer – wie gemalt.


Ein weitgehend schattiger Weg führt hinunter zu diesem Idyll. Am Strand angekommen, fällt unser Blick auf bequeme Liegen aus Holz mit Matten aus irgendeinem strohartigen Material, komplettiert durch ansprechende Kissen. Ob die wohl zu einem Hotel gehören? Nein, zu einer Bar. Und wir können uns nach Belieben niederlassen. Die Einladung nehmen wir gerne an, bestellen gleich zwei „águas de côco“ – eisgekühlte grüne Kokosnüsse, in die ein Loch geschlagen wird, damit man das Kokoswasser mit einem Strohhalm genießen kann. Anschließend wird die leere Nuss mit brachialer Gewalt in zwei Teile zerteilt, damit man das zarte Fruchtfleisch mit Hilfe eines Löffels verzehren kann. Also nicht nur ein Getränk, sondern ein kleiner Imbiss.


Für das leibliche Wohl sorgen nicht nur die Bediensteten der Bar, sondern auch ungezählte „ambulante Verkäufer“, die allerhand Leckereien anbieten. Einer kommt gar mit einem großen Tablett gebratener Langusten (!) vorbei. Nein, das wollen wir aus Prinzip nicht.


Nach der Mittagsruhe begibt sich die ganze Familie zum Strand, Hund inklusive. Mittlerweile ist der Wasserspiegel angestiegen. Von dem breiten Strand am Vormittag ist nur noch ein kleiner Streifen übrig. Herrliche Wellen locken uns ins Wasser. Hund exklusive. Bald wird es dunkel. Zeit zur Rückkehr in die Pousada, um sich für das Abendessen („jantar“) fertigzumachen. Es wird wieder Fisch, heute mit Shrimpssoße („molho de camarão“). Als Vorspeise Krebsfleisch („casquinha de siri“). Wir vergessen für einen Moment, dass die Weltmeere leergefischt werden und genießen das Essen in vollen Zügen.


Sonntag, 17. Januar 2010


Wir verlassen unser kleines Paradies. Ziel der heutigen Tagetappe: Salvador da Bahia, Heimat meiner Schwiegermutter. Wendepunkt unserer Reise. Die Abreise verzögert sich. Keiner kann sich so richtig losreißen. Dann siegt doch die Vernunft. Wir verlassen Trancoso mit einem lautlosen Seufzer und nehmen Kurs auf die BR-101 Richtung Norden. Das Meer werden wir erst in Salvador wiedersehen. Die Straße verläuft 50 bis 100 Kilometer im Landesinneren. 720 Kilometer sind zurückzulegen. Heute, am Sonntag, ist das Verkehrsaufkommen deutlich geringer als am vergangenen Freitag. Insbesondere sind viel weniger LKWs unterwegs. Doch die Straße bleibt kurvenreich. Im Ergebnis kommt unsere Durchschnittsgeschwindigkeit – inklusive Pausen – über 65 km/h nicht hinaus. Geschätzte Ankunftszeit also gegen 22 Uhr.


Diese Aussicht trübt jedoch die Stimmung in keiner Weise. Wenn wir heute unser Ziel nicht mehr erreichen, so wird sich unterwegs eine Pousada finden, die uns aufnimmt. Im Abstand von ca. 50 Kilometer durchfahren wir Ortschaften von kleinerer und mittlerer Größe. Keine davon lädt wirklich zum längeren Verweilen ein. Bahia ist ein reicher Bundesstaat. Doch der Reichtum ist hier besonders stark konzentriert.


Dunkelheit macht sich breit. Ausgedehnte Dämmerung wie man sie in mitteleuropäischen Breiten gewohnt ist, findet hier nicht statt. Die Sonne macht sich hier ruckzuck aus dem Staub. Jetzt ist höchste Konzentration gefragt. Reflektierende Straßenmarkierungen – Fehlanzeige. Besonderer Aufmerksamkeit bedürfen in der Nähe von bewohnten Gebieten die „lombadas“, wulstartige Erhebungen im Straßenbelag, die nur im Schritttempo überquert werden können, will man die Unversehrtheit des Fahrzeugs und seiner Insassen nicht aufs Spiel setzen. Und dann wären da immer mal meist dunkelhäutige Fußgänger, die plötzlich im Scheinwerferlicht am Straßenrand auftauchen. Es ist also für Abwechslung gesorgt.


Die letzten hundert verlaufen auf einer vierspurigen Straße. Dann mal richtig Gas geben. Ich bin am Steuer. Hundertprozentig aufmerksam. Dennoch kann ich dem Schlagloch nicht ausweichen. Der heftige Schlag wirbelt allerlei Gegenstände im Fahrzeuginneren durcheinander. Vom linken Vorderrad vernehmen wir ungewünschte Geräusche, die Gott sei dank verebben. Hat das spontane Stoßgebet augenblicklich gewirkt? Die Gegend ist stockdunkel. Hier anzuhalten und einen Reifen zu wechseln wäre kein Spaß.


Das Material hält. „Volkswagen. Das Auto.“ Mit diesem Slogan, in diesen deutschen Worten, wirbt Volkswagen hier in Brasilien. Ist doch was dran an der sprichwörtlichen deutschen Qualität?


Wir erreichen Salvador. Jetzt nur noch das Haus meiner Schwiegermutter finden. Streng genommen gehört das Haus uns. Insofern hat es etwas Groteskes: Hausbesitzer auf der Suche nach ihrer Immobilie. Als Orientierungspunkte dienen uns der Flughafen und der „Praia de Flamengo“, der „Flamengo Beach“. Mit vereinten Kräften gelangen wir ans Ziel. Welche Freude, welche Erleichterung.


Montag, 18. Januar 2010


Mit dem sanften Rauschen des Atlantiks schlafen wir erschöpft ein. Mit dem sanften Rauschen des Atlantiks wachen wir ausgeruht auf. Der Hund wie immer als Erster. Es ist kurz nach sechs Uhr morgens. Er will raus. Heute bin ich dran. Dann nichts wie zum Strand. Zu Fuß gerade mal fünf Minuten. Dieser Strand gehört nun uns. Für die nächsten 8 Tage.