Mittwoch, 23. Dezember 2009

Mittwoch, 23. Dezember 2009

CORUMBÁ, PANTANAL

Nach der Reise ist vor der Reise. Vor Weihnachten wollen wir noch ein paar Tage im Pantanal zubringen. Der Pantanal ist ein Sumpfgebiet von der Größe Westdeutschlands und seit dem Jahre 2000 Teil des UNESCO-Weltnaturerbes.


Unser Ziel ist Corumbá, eine Stadt mit ca. 100.000 Einwohnern, an der Grenze zu Bolivien gelegen. In unmittelbarer Nähe davon liegt die Kleinstadt Ladário, Orianas Heimat in den Jahren 1974 bis 1976.


PARKSTRASSE


Der Weg nach Corumbá ist einfach. In Campo Grande folgen wir zunächst der Beschilderung zum Flughafen, lassen diesen links liegen und fahren dann gut 400 Kilometer geradeaus. Immer auf der Bundesstraße 262 („BR-262“) bleiben. Da kann das Navi getrost zuhause bleiben.


Auf den letzten hundert Kilometern kann man allerdings variieren und die alte Schotterstraße nehmen – die sogenannte „Estrada Parque“, zu Deutsch Parkstraße. Diese Straße wird bewusst nicht asphaltiert, um das Verkehrsaufkommen möglichst gering zu halten, denn sie führt mitten durch den Pantanal.


Wir erkundigen uns nach dem Zustand der Straße und, ermutigt durch die positive Auskunft, beschließen, die Abenteuerroute zu wählen. Mehr als 70 Brücken sind im Schritttempo zu überqueren. Bei niedrigem Wasserstand, wie im Moment, können einige umfahren werden. Allerlei Getier kreuzt unseren Weg: Capivaras, Geier, ein Hirsch, verschiedene Vögel.


Nach einem Viertel der Strecke gibt die Klimaanlage verdächtige Geräusche von sich und muss abgeschaltet werden. Das ist jetzt ein außerordentlich ungünstiger Zeitpunkt, da es heiß und staubig ist. Wir wollten Abenteuer. Bitteschön.


Angeblich kommen auf den menschlichen Bewohner des Pantanals vier Alligatoren („jacarés“). Ein paar Hundert davon sind wir begegnet – regungslos und ohne erkennbares Interesse an Menschenfleisch. Die Panatanal-Alligatoren sind angeblich gegenüber Menschen nicht aggressiv. Ich verzichte auf die Überprüfung dieser Hypothese und halte meine Familienmitglieder an, die Autotüren offen zu lassen und sich nicht weiter als 5 Meter vom Fahrzeug zu entfernen.


Etwa auf halber Strecke hindert uns der Rio Paraguai am Weiterkommen aus eigener Kraft. Wir vertrauen uns einer Fähre an, die einen voll beladenen LKW auflädt und dann gerade noch ein Stückchen Platz für uns und unser Fahrzeug übrig hat.


Der Rio Paraguai ist die zentrale Wasserader des Pantanals. Da er ein extrem geringes Gefälle hat, überspült er bei hohem Wasserstand große Teile des Pantanals. Diese besondere Konstellation hat ein einmaliges Naturreservat mit mehr Fisch- und Vogelarten als in ganz Europa hervorgebracht.


Die letzten zwanzig Kilometer ziehen sich. Eine moderate Bergkuppe ist zu überwinden. Schließlich mündet die Straße wieder in die Bundesstraße. Willkommen zurück in der Zivilisation.


POUSADA DO CACHIMBO

Die Pension („pousada“), in der wir für 3 Nächte reserviert haben, ist leicht zu finden. Einfach der Beschilderung Richtung Bolivien folgen, dann vor der Grenze die letzte Straße rechts. Was für ein traumhaftes Plätzchen. Der Blick schweift über das Tal des Rio Paraguai. Rinder grasen beschaulich, lautlos kündigt sich ein atemberaubender Sonnenuntergang an.



Die Hausherrin, Dona Jane, begrüßt uns freudig und erläutert ausführlich Flora und Fauna. Der Garten, das ist ihre Passion. Der Star ist jedoch ein anderer – ein Haustier. Ein roter männlicher Arara, der vor vielen Jahren in offensichtlicher Unkenntnis der wahren Verhältnisse den Namen Lara erhalten hat. Nun ist er bereits über 30 Jahre alt und will man das Tier nicht mehr seines gewohnten Namens umbenennen.


Lara liebt es, im Nacken gekrault zu werden. Aber nicht von jedem. Von Männern schon mal gar nicht. Aber auch Frauen müssen sich seine Gunst geduldig erarbeiten. Deborah bringt die erforderliche Geduld auf und darf sich bereits nach wenigen Stunden Lara nähern, ohne einen schmerzhaften Biss befürchten zu müssen.


Schließlich erzählt Dona Jane unserer Tochter, dass Lara manchmal auch tanzen würde. Dazu müsse man jedoch eine Melodie spielen oder singen. Nun ist Deborahs Ehrgeiz endgültig entfacht. Da ihre Geige nicht zur Hand ist, entscheidet sie sich für Pfeifen. Lara lässt sich Zeit. Sehr viel Zeit. Doch sie hatte wohl nicht mit der Hartnäckigkeit unserer Tochter gerechnet.



LULU

Der Pantanal ist eine Gegend mit sehr viel Wasser. Und wo Wasser ist, sind auch Fische. Und wo Fische sind, werden diese auch verspeist. Und so war eine unserer ersten Fragen an unsere Gastgeberin, wo in der Stadt man denn guten Fisch essen könne.


Die Antwort unserer Gastgeberin hätte nicht eindeutiger ausfallen können: Den besten Fisch gibt es natürlich bei Lulu. Es folgt der Hinweis, dass es sich um ein einfaches Restaurant handeln würde – ohne Schnickschnack, ohne Klimaanlage. Wie schön. Wir sind uns einig, dass wir diesen Tipp gleich am ersten Abend ausprobieren wollen.


Lulu ist in Brasilien ein gängiger Spitzname für Leute, die mit bürgerlichem Namen Luis (oder Luiz) heißen. Also ein Männername. In diesem Fall ist es der Name des Mannes, der seit über vierzig Jahren diese kleine Restaurant betreibt. Vor etwa sechs Jahren musste er die Kernaufgabe des Kochens an seine Frau und seine Kinder abgeben, da ein Schlaganfall ihm dies seither nicht mehr erlaubt. Er ist jedoch nach wie vor präsent und um das Wohl seiner Gäste besorgt.


Der obligatorische Fernseher fehlt auch hier nicht, ist aber dankenswerter Weise auf stumm geschaltet. Fotos mit Gästen sowie Plakate von Fußballvereinen schmücken die Wände. Die Speisekarte ist wohltuend überschaubar: Links die Fischgerichte – sieben, acht an der Zahl, rechts die Getränke. Fertig. Auf die Aufzählung der Beilagen wird verzichtet, da diese bei allen Gerichten die gleichen sind: Reis, „Farofa“ (geröstetes Maniokmehl mit gebratenen Bananenstückchen), „Pirão“ (mit Mehl eingedickter Fischfond) und „Molho de Vinaigrette“ (kleingeschnittene Tomaten und Zwiebeln in Essig und Öl). Und dazu eben der Fisch. Filet von „Pintado“, einem hier anzutreffenden Fisch, der bis zu 1,5 m lang und 30 kg schwer wird und überaus köstlich schmeckt. Zum Beispiel gebraten oder paniert oder mit cremiger Soße.


Der Abend gerät zum kulinarischen Erlebnis. Die Rechnung bleibt überschaubar. Jeder Centavo ist gerechtfertigt. Deborah hätte gerne Piranha-Suppe („caldo de piranha“) probiert, doch dieses Gericht ist heute leider nicht verfügbar. Auch am nächsten Abend nicht. Wir erfahren, dass es in dieser Jahreszeit kaum Piranhas gibt


KLIMAANLAGEN

So überwältigend das natürliche Ambiente unserer „Pousada“ ist – mit dem bewegenden Ausblick auf den Rio Paraguai und das angrenzende Überschwemmungsgebiet, so schlicht sind die Gästezimmer angelegt und ausgestattet.


Hauptstörfaktor für lärmempfindliche Menschen wie mich sind dabei die Klimaanlagen. „Klassische“ Kompressoranlagen, kompakt, einfach in ein Loch in der Wand geschoben, Stecker in die Steckdose – fertig. Klimaanlagen sind in Brasilien ein Statussymbol: Je kälter, umso luxuriöser.


Diese Apparate sind wahre Stromfresser und – auf meiner persönlichen Lärmskala – laut. Darüber hinaus produzieren diese Geräte Konsenswasser, welches auf der Außenseite des Gebäudes nach unten tropft. Im Falle unseres Zimmers im Erdgeschoß fallen diese Wassertropfen weich und geräuschlos ins Gras. Wenn nun aber – wie in unserer letzten Nacht hier – das Zimmer über uns belegt und die zugehörige Klimaanlage in Betrieb ist, so fallen die Tropfen jener Anlage genau auf das Gehäuse unserer Anlage. Ein nervender tropfender Wasserhahn, den man nur mit sabotageähnlichen Mitteln abstellen könnte. Somit wäre auch der Grund dafür genannt, warum diese Zeilen um 4 Uhr morgens entstehen.


Dabei könnte man das – mit ein wenig gutem Willen und materiellem Aufwand – auch anders lösen. Die zu lösende Aufgabe lautet: Erstens, Moskitos fernhalten. Zweitens, die auch in der Nacht herrschende Hitze abmildern. Nur mal angenommen: Das Zimmer besitzt je ein großes Fenster auf der Vorder- und Rückseite. Die Fensteröffnungen sind auf der Außenseite sauber mit feinmaschigem Moskitonetz überzogen. Ein lautloser Deckenventilator sorgt für angenehme Luftzirkulation. Die einzigen vernehmbaren Geräusche kommen von draußen – von Grillen, Papageien und sonstigem Getier.


CORUMBÁ


Corumbá ist nicht gerade mit Sehenswürdigkeit übersät. Seit einigen Jahren ist der "Christus vom Pantanal" ("Cristo Rei do Pantanal") das Wahrzeichen der Stadt - ganz offensichtlich dem großen Vorbild in Rio de Janeiro nachempfunden.


Sehr postiv überrascht waren wir von dem neuen Historischen Museum des Pantanal. Auf drei Etagen findet man - in portugiesisch und spanisch - eine hervorragend aufbereitete Darstellung der Geschichte der Region. Leider gibt es keinen Katalog zum Mitnehmen und Nachlesen.


BOLIVIEN

Ein kurzer Abstecher nach Bolivien darf natürlich nicht fehlen. Bolivien gehört zwar nicht zur Wirtschaftsunion „Mercosul“. Die Grenze macht dennoch einen sehr offenen Eindruck. Auf bolivianischem Gebiet fallen gleich sehr große Wahlplakate ins Auge. Am 6. Dezember wurde der amtierende Staatspräsident Evo Morales, der erste indigene Staatschef Südamerikas, mit 63% der Stimmen wiedergewählt.


Bolivien ist das Armenhaus des Subkontinents. Fast die Hälfte der Bevölkerung gilt als arm. Das Land ist reich an verschiedenen Rohstoffen (u.a. Erdgas und Lithium). Die Erlöse flossen in der Vergangenheit doch allzu oft in die Kassen ausländischer, namentlich US-amerikanischer Konzerne.


Dazu passt, dass Evo Morales seinen ersten Wahlkampf nicht gegen seine Konkurrenten, sondern gegen den damaligen US-Botschafter geführt hat. In seiner ersten Amtszeit hat die Rohstoffindustrie weitgehend wieder unter staatliche Kontrolle gestellt. Dass das ein Erfolgsrezept sein kann, macht Brasilien vor: Die staatlich kontrollierte Ölgesellschaft Petrobras ist eine der erfolgreichsten der Welt und auch technologisch führend.


Inwieweit die Mehrheit der Bevölkerung von Morales’ Politik spürbar profitiert, vermag ich nicht zu beurteilen. Die Meinungen darüber sind – natürlich – widersprüchlich. Wie auch immer – wir sind um eine Grenzerfahrung reicher.


RINDERALARM

Diese Reise sollte vorwiegend dazu dienen, die Orte von Orianas Kindheitserinnerung zu besuchen. Wir sind uns einig, dass wir noch einmal in den Pantanal kommen wollen – dann jedoch abseits der Stadt auf eine der Fazendas, welche sich auf Ökotourismus („eco-turismo“) spezialisiert haben.


Auf der Rückfahrt müssen wir uns zweimal den Weg durch riesige Rinderherden bahnen, die gerade dabei waren, die Bundesstraße zu überqueren.


Übrigens kam Deborah doch noch zu ihrer Piranha-Suppe. Bei unserem letzten Besuch bei Lulu erwartete uns dieser mit der freudigen Nachricht, dass es ihm gelungen sei, eine Piranha zu erwerben. Ein strahlendes Kindergesicht dankt ihm seine Mühe. Geduldig warten wir auf das Gericht – der Fisch muss langsam gekocht werden. Das Warten lohnt sich. Eine kulinarische Offenbarung.


FELIZ NATAL

So wünschen wir Euch allen gesegnete Weihnachten („Feliz Natal“) und einen guten Rutsch ins neue Jahr. Im neuen Jahr melden wir uns wieder von dieser Stelle aus.


P.S.: Für die nächsten Tage wird hier ruhiges Sommerwetter mit vereinzelten Regenschauern und Temperaturen um die 30 Grad erwartet.


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