CARNAVAL
Der Karneval („carnaval“) 2010 ist Geschichte. Die begehrten Auszeichnungen für die besten Samba-Schulen sind verteilt. Nach dem Karneval ist vor dem Karneval. Doch während in Köln, Mainz oder Düsseldorf das närrische Treiben mit Anbruch des Aschermittwochs schlagartig abstirbt, ist hier in Brasilien längst noch nicht alles vorbei. Doch dazu später.
Karneval in Brasilien, das heißt – von Europa aus betrachtet – in erster Linie: Rio de Janeiro, kaum bekleidete Samba-Tänzerinnen, riesige Menschenmengen im ausgelassenen Freudentaumel bei 40 Grad. Aber da ist noch mehr.
Was in deutsche Wohnzimmer übertragen wird, ist nur der professionelle Karneval – der Umzug („desfile“) der Samba-Schulen („escolas de samba“). Eine Samba-Schule ist eine große Organisation mit tausenden von Mitgliedern, welche historisch stark in den Stadtteilen verankert ist und immer auch soziale Ziele verfolgt.
Samba-Schulen gibt es jedoch nicht nur in Rio, sondern in den meisten Städten Brasiliens. Nun ist Campo Grande keine Karnevals-Hochburg wie Rio, Köln oder Malsch. Doch auch hier trifft man sie an, die „escolas de samba“. Und sie werden, wie ich höre, jedes Jahr besser.
Daneben gibt es jedoch noch jede Menge „blocos“ – kleinere und eher amateurhafte Gruppen, welche sich zusammentun und mit eigenen Liedern, Kostümen und Motivwagen sich dem Publikum auf der Straße präsentieren. Straßenkarneval eben.
Der Samstag und der Sonntag gehören üblicherweise den „escolas de samba“, Montag und Dienstag den „blocos“. Während in das „sambódromo“ von Rio gerade mal 75.000 Zuschauer passen, versammeln sich beim Straßenkarneval in Rio, São Paulo und Salvador Millionen von Menschen.
Zahlenmäßig hat hier übrigens Salvador die Nase vorn. Laut „Guinness-Buch der Rekorde“ von 2005 ist das größte Straßenfest der Welt – na? richtig! – der Karneval von Salvador da Bahia ist.
Der „Carnaval de Campo Grande 2010“ fällt teilweise – im wahrsten Sinne des Wortes – ins Wasser. Um diese Zeit regnet es halt recht viel – von Dezember bis Februar fast so viel wie in Deutschland in einem ganzem Jahr.
Am Samstagabend geht gar nichts. Am Sonntag sieht es zunächst ähnlich aus. Dann versiegt der Regen doch noch, die Samba-Schule, etwa ein Dutzend, dürfen zeigen, was sie drauf haben.
Tags darauf sind die „blocos“ dran. Das Spektakel beginnt abends gegen 21 Uhr. Der Oberbürgermeister wünscht gutes Gelingen, los geht’s. Aber nur nichts Überstürzen. Erst mal muss man sich ja warm trommeln, warm singen, warm tanzen. Ich gewinne den Eindruck, dass die teils stundenlange Vorbereitung auf den wenige Minuten dauernden Auftritt das Hauptereignis ist. Alle sind gut drauf, entspannt, unaufdringlich.
Vorne weg tanzen die „Königin“ („rainha“) und „König Momo“, ein beleibter Herr – sozusagen das Faschingsprinzenpaar. Momo geht angeblich auf den Gott des Spaßes in der griechischen Mythologie zurück. Wie diese Figur nach Brasilien gelangt ist, ist mir allerdings schleierhaft.
Wie überhaupt der brasilianische Karneval einer anderen Tradition folgt als der deutsche. Der Pariser Karneval war es angeblich, der Städte wie New Orleans, Toronto und eben auch Rio zur Nachahmung inspiriert hat.
Und dann wäre da noch das Wort „Karneval“. Die Herkunft des Begriffs ist nicht eindeutig geklärt. Folgende Geschichten sind im Angebot: 1. „Carrus navalis“, ein Umzugswagen in Form eines Schiffes, mit Narren an Bord, das Narrenschiff also. Kleiner Schönheitsfehler: Der Ausdruck klingt zwar sehr lateinisch, soll aber im klassischen Latein gar nicht existiert haben. 2. „Carne vale“, „Fleisch lebe wohl“. Ein Hinweis darauf, dass der gläubige Katholik während der Fastenzeit sich von fleischlichen Genüssen abzuwenden hat.
Während also der Kölner Jeck bereits Buße tut, seine Sünden bereut und nach Kräften fastet, fiebert der Brasilianer der Preisverleihung („premiação“) entgegen. Am Aschermittwoch werden die Gewinner bekannt gegeben: Die beste „escola de samba“, der beste „bloco“, die beste „bateria“ (Percussion) und vieles mehr.
Die entsprechenden Preise werden – zumindest hier in Campo Grande – dann am darauffolgenden Freitag verliehen. Das muss natürlich auch noch einmal kräftig gefeiert werden. Insofern verkürzt sich – rein rechnerisch – Fastenzeit schon einmal.
Vielleicht liegt es aber auch einfach daran, dass die Brasilianer beste Beziehung nach ganz oben haben. Schließlich ist Gott ein Brasilianer, wie jeder hier weiß.
Mehr und mehr komme ich zu der Erkenntnis, dass meine Frau Oriana über wundersame Heilkräfte verfügt. Es ist ihr nicht einfach so in den Schoß gefallen. Wie so oft im Leben, steht am Anfang die Transpiration, gefolgt von Intuition und Inspiration, idealerweise abgerundet durch eine angemessene Kompensation.
Wie schon in Deutschland, so vermag sie auch hier geplagte Menschen von jahrelangen Schmerzen ganz oder teilweise zu befreien. Meine aufrichtige Bewunderung ist ihr gewiss. Auch ich selbst kam unlängst in den Genuss ihrer Heilkunst. Habe ich doch vor gut einer Woche meinen linken Fuß derart nach außen umgeknickt, dass ich hören konnte, wie das entsprechende Band teilweise riss oder zumindest bis ans Bersten gezerrt wurde. Innerhalb von Minuten war der Knöchel so dick, als hätte ich das berüchtigte Wasser in den Beinen. Ich sah mich bereits die nächsten 8 Wochen mit Krücken durch Brasilien humpeln.
Oriana, meine Rettung – auch in dieser Lebenslage. Hier ein paar Globuli, dort ein paar Laserstrahlen. Dazu viel Gespür und Hingabe. Was soll ich sagen? Kaum eine Woche später könnte ich schon wieder Samba tanzen. Wenn ich es denn könnte.
SOMMERZEIT
Mit Beginn des heutigen Sonntags endet hier die Sommerzeit. Wie Europa, so ist auch hier der Nutzen dieser Maßnahme umstritten. Von 0,5% Energieeinsparung im Bundesstaat Mato Grosso do Sul ist die Rede. Na ja. Ein halbes Prozent von ganz viel ist immer noch viel. Unbestritten dagegen ist, dass die Zeitdifferenz zwischen hier und Deutschland nunmehr 5 Stunden beträgt.
Wir freuen uns auf unsere Reise nach Rio de Janeiro in der kommenden Woche und wünschen Euch allen besinnliches Fasten.