Mittwoch, 23. Dezember 2009

Mittwoch, 23. Dezember 2009

CORUMBÁ, PANTANAL

Nach der Reise ist vor der Reise. Vor Weihnachten wollen wir noch ein paar Tage im Pantanal zubringen. Der Pantanal ist ein Sumpfgebiet von der Größe Westdeutschlands und seit dem Jahre 2000 Teil des UNESCO-Weltnaturerbes.


Unser Ziel ist Corumbá, eine Stadt mit ca. 100.000 Einwohnern, an der Grenze zu Bolivien gelegen. In unmittelbarer Nähe davon liegt die Kleinstadt Ladário, Orianas Heimat in den Jahren 1974 bis 1976.


PARKSTRASSE


Der Weg nach Corumbá ist einfach. In Campo Grande folgen wir zunächst der Beschilderung zum Flughafen, lassen diesen links liegen und fahren dann gut 400 Kilometer geradeaus. Immer auf der Bundesstraße 262 („BR-262“) bleiben. Da kann das Navi getrost zuhause bleiben.


Auf den letzten hundert Kilometern kann man allerdings variieren und die alte Schotterstraße nehmen – die sogenannte „Estrada Parque“, zu Deutsch Parkstraße. Diese Straße wird bewusst nicht asphaltiert, um das Verkehrsaufkommen möglichst gering zu halten, denn sie führt mitten durch den Pantanal.


Wir erkundigen uns nach dem Zustand der Straße und, ermutigt durch die positive Auskunft, beschließen, die Abenteuerroute zu wählen. Mehr als 70 Brücken sind im Schritttempo zu überqueren. Bei niedrigem Wasserstand, wie im Moment, können einige umfahren werden. Allerlei Getier kreuzt unseren Weg: Capivaras, Geier, ein Hirsch, verschiedene Vögel.


Nach einem Viertel der Strecke gibt die Klimaanlage verdächtige Geräusche von sich und muss abgeschaltet werden. Das ist jetzt ein außerordentlich ungünstiger Zeitpunkt, da es heiß und staubig ist. Wir wollten Abenteuer. Bitteschön.


Angeblich kommen auf den menschlichen Bewohner des Pantanals vier Alligatoren („jacarés“). Ein paar Hundert davon sind wir begegnet – regungslos und ohne erkennbares Interesse an Menschenfleisch. Die Panatanal-Alligatoren sind angeblich gegenüber Menschen nicht aggressiv. Ich verzichte auf die Überprüfung dieser Hypothese und halte meine Familienmitglieder an, die Autotüren offen zu lassen und sich nicht weiter als 5 Meter vom Fahrzeug zu entfernen.


Etwa auf halber Strecke hindert uns der Rio Paraguai am Weiterkommen aus eigener Kraft. Wir vertrauen uns einer Fähre an, die einen voll beladenen LKW auflädt und dann gerade noch ein Stückchen Platz für uns und unser Fahrzeug übrig hat.


Der Rio Paraguai ist die zentrale Wasserader des Pantanals. Da er ein extrem geringes Gefälle hat, überspült er bei hohem Wasserstand große Teile des Pantanals. Diese besondere Konstellation hat ein einmaliges Naturreservat mit mehr Fisch- und Vogelarten als in ganz Europa hervorgebracht.


Die letzten zwanzig Kilometer ziehen sich. Eine moderate Bergkuppe ist zu überwinden. Schließlich mündet die Straße wieder in die Bundesstraße. Willkommen zurück in der Zivilisation.


POUSADA DO CACHIMBO

Die Pension („pousada“), in der wir für 3 Nächte reserviert haben, ist leicht zu finden. Einfach der Beschilderung Richtung Bolivien folgen, dann vor der Grenze die letzte Straße rechts. Was für ein traumhaftes Plätzchen. Der Blick schweift über das Tal des Rio Paraguai. Rinder grasen beschaulich, lautlos kündigt sich ein atemberaubender Sonnenuntergang an.



Die Hausherrin, Dona Jane, begrüßt uns freudig und erläutert ausführlich Flora und Fauna. Der Garten, das ist ihre Passion. Der Star ist jedoch ein anderer – ein Haustier. Ein roter männlicher Arara, der vor vielen Jahren in offensichtlicher Unkenntnis der wahren Verhältnisse den Namen Lara erhalten hat. Nun ist er bereits über 30 Jahre alt und will man das Tier nicht mehr seines gewohnten Namens umbenennen.


Lara liebt es, im Nacken gekrault zu werden. Aber nicht von jedem. Von Männern schon mal gar nicht. Aber auch Frauen müssen sich seine Gunst geduldig erarbeiten. Deborah bringt die erforderliche Geduld auf und darf sich bereits nach wenigen Stunden Lara nähern, ohne einen schmerzhaften Biss befürchten zu müssen.


Schließlich erzählt Dona Jane unserer Tochter, dass Lara manchmal auch tanzen würde. Dazu müsse man jedoch eine Melodie spielen oder singen. Nun ist Deborahs Ehrgeiz endgültig entfacht. Da ihre Geige nicht zur Hand ist, entscheidet sie sich für Pfeifen. Lara lässt sich Zeit. Sehr viel Zeit. Doch sie hatte wohl nicht mit der Hartnäckigkeit unserer Tochter gerechnet.



LULU

Der Pantanal ist eine Gegend mit sehr viel Wasser. Und wo Wasser ist, sind auch Fische. Und wo Fische sind, werden diese auch verspeist. Und so war eine unserer ersten Fragen an unsere Gastgeberin, wo in der Stadt man denn guten Fisch essen könne.


Die Antwort unserer Gastgeberin hätte nicht eindeutiger ausfallen können: Den besten Fisch gibt es natürlich bei Lulu. Es folgt der Hinweis, dass es sich um ein einfaches Restaurant handeln würde – ohne Schnickschnack, ohne Klimaanlage. Wie schön. Wir sind uns einig, dass wir diesen Tipp gleich am ersten Abend ausprobieren wollen.


Lulu ist in Brasilien ein gängiger Spitzname für Leute, die mit bürgerlichem Namen Luis (oder Luiz) heißen. Also ein Männername. In diesem Fall ist es der Name des Mannes, der seit über vierzig Jahren diese kleine Restaurant betreibt. Vor etwa sechs Jahren musste er die Kernaufgabe des Kochens an seine Frau und seine Kinder abgeben, da ein Schlaganfall ihm dies seither nicht mehr erlaubt. Er ist jedoch nach wie vor präsent und um das Wohl seiner Gäste besorgt.


Der obligatorische Fernseher fehlt auch hier nicht, ist aber dankenswerter Weise auf stumm geschaltet. Fotos mit Gästen sowie Plakate von Fußballvereinen schmücken die Wände. Die Speisekarte ist wohltuend überschaubar: Links die Fischgerichte – sieben, acht an der Zahl, rechts die Getränke. Fertig. Auf die Aufzählung der Beilagen wird verzichtet, da diese bei allen Gerichten die gleichen sind: Reis, „Farofa“ (geröstetes Maniokmehl mit gebratenen Bananenstückchen), „Pirão“ (mit Mehl eingedickter Fischfond) und „Molho de Vinaigrette“ (kleingeschnittene Tomaten und Zwiebeln in Essig und Öl). Und dazu eben der Fisch. Filet von „Pintado“, einem hier anzutreffenden Fisch, der bis zu 1,5 m lang und 30 kg schwer wird und überaus köstlich schmeckt. Zum Beispiel gebraten oder paniert oder mit cremiger Soße.


Der Abend gerät zum kulinarischen Erlebnis. Die Rechnung bleibt überschaubar. Jeder Centavo ist gerechtfertigt. Deborah hätte gerne Piranha-Suppe („caldo de piranha“) probiert, doch dieses Gericht ist heute leider nicht verfügbar. Auch am nächsten Abend nicht. Wir erfahren, dass es in dieser Jahreszeit kaum Piranhas gibt


KLIMAANLAGEN

So überwältigend das natürliche Ambiente unserer „Pousada“ ist – mit dem bewegenden Ausblick auf den Rio Paraguai und das angrenzende Überschwemmungsgebiet, so schlicht sind die Gästezimmer angelegt und ausgestattet.


Hauptstörfaktor für lärmempfindliche Menschen wie mich sind dabei die Klimaanlagen. „Klassische“ Kompressoranlagen, kompakt, einfach in ein Loch in der Wand geschoben, Stecker in die Steckdose – fertig. Klimaanlagen sind in Brasilien ein Statussymbol: Je kälter, umso luxuriöser.


Diese Apparate sind wahre Stromfresser und – auf meiner persönlichen Lärmskala – laut. Darüber hinaus produzieren diese Geräte Konsenswasser, welches auf der Außenseite des Gebäudes nach unten tropft. Im Falle unseres Zimmers im Erdgeschoß fallen diese Wassertropfen weich und geräuschlos ins Gras. Wenn nun aber – wie in unserer letzten Nacht hier – das Zimmer über uns belegt und die zugehörige Klimaanlage in Betrieb ist, so fallen die Tropfen jener Anlage genau auf das Gehäuse unserer Anlage. Ein nervender tropfender Wasserhahn, den man nur mit sabotageähnlichen Mitteln abstellen könnte. Somit wäre auch der Grund dafür genannt, warum diese Zeilen um 4 Uhr morgens entstehen.


Dabei könnte man das – mit ein wenig gutem Willen und materiellem Aufwand – auch anders lösen. Die zu lösende Aufgabe lautet: Erstens, Moskitos fernhalten. Zweitens, die auch in der Nacht herrschende Hitze abmildern. Nur mal angenommen: Das Zimmer besitzt je ein großes Fenster auf der Vorder- und Rückseite. Die Fensteröffnungen sind auf der Außenseite sauber mit feinmaschigem Moskitonetz überzogen. Ein lautloser Deckenventilator sorgt für angenehme Luftzirkulation. Die einzigen vernehmbaren Geräusche kommen von draußen – von Grillen, Papageien und sonstigem Getier.


CORUMBÁ


Corumbá ist nicht gerade mit Sehenswürdigkeit übersät. Seit einigen Jahren ist der "Christus vom Pantanal" ("Cristo Rei do Pantanal") das Wahrzeichen der Stadt - ganz offensichtlich dem großen Vorbild in Rio de Janeiro nachempfunden.


Sehr postiv überrascht waren wir von dem neuen Historischen Museum des Pantanal. Auf drei Etagen findet man - in portugiesisch und spanisch - eine hervorragend aufbereitete Darstellung der Geschichte der Region. Leider gibt es keinen Katalog zum Mitnehmen und Nachlesen.


BOLIVIEN

Ein kurzer Abstecher nach Bolivien darf natürlich nicht fehlen. Bolivien gehört zwar nicht zur Wirtschaftsunion „Mercosul“. Die Grenze macht dennoch einen sehr offenen Eindruck. Auf bolivianischem Gebiet fallen gleich sehr große Wahlplakate ins Auge. Am 6. Dezember wurde der amtierende Staatspräsident Evo Morales, der erste indigene Staatschef Südamerikas, mit 63% der Stimmen wiedergewählt.


Bolivien ist das Armenhaus des Subkontinents. Fast die Hälfte der Bevölkerung gilt als arm. Das Land ist reich an verschiedenen Rohstoffen (u.a. Erdgas und Lithium). Die Erlöse flossen in der Vergangenheit doch allzu oft in die Kassen ausländischer, namentlich US-amerikanischer Konzerne.


Dazu passt, dass Evo Morales seinen ersten Wahlkampf nicht gegen seine Konkurrenten, sondern gegen den damaligen US-Botschafter geführt hat. In seiner ersten Amtszeit hat die Rohstoffindustrie weitgehend wieder unter staatliche Kontrolle gestellt. Dass das ein Erfolgsrezept sein kann, macht Brasilien vor: Die staatlich kontrollierte Ölgesellschaft Petrobras ist eine der erfolgreichsten der Welt und auch technologisch führend.


Inwieweit die Mehrheit der Bevölkerung von Morales’ Politik spürbar profitiert, vermag ich nicht zu beurteilen. Die Meinungen darüber sind – natürlich – widersprüchlich. Wie auch immer – wir sind um eine Grenzerfahrung reicher.


RINDERALARM

Diese Reise sollte vorwiegend dazu dienen, die Orte von Orianas Kindheitserinnerung zu besuchen. Wir sind uns einig, dass wir noch einmal in den Pantanal kommen wollen – dann jedoch abseits der Stadt auf eine der Fazendas, welche sich auf Ökotourismus („eco-turismo“) spezialisiert haben.


Auf der Rückfahrt müssen wir uns zweimal den Weg durch riesige Rinderherden bahnen, die gerade dabei waren, die Bundesstraße zu überqueren.


Übrigens kam Deborah doch noch zu ihrer Piranha-Suppe. Bei unserem letzten Besuch bei Lulu erwartete uns dieser mit der freudigen Nachricht, dass es ihm gelungen sei, eine Piranha zu erwerben. Ein strahlendes Kindergesicht dankt ihm seine Mühe. Geduldig warten wir auf das Gericht – der Fisch muss langsam gekocht werden. Das Warten lohnt sich. Eine kulinarische Offenbarung.


FELIZ NATAL

So wünschen wir Euch allen gesegnete Weihnachten („Feliz Natal“) und einen guten Rutsch ins neue Jahr. Im neuen Jahr melden wir uns wieder von dieser Stelle aus.


P.S.: Für die nächsten Tage wird hier ruhiges Sommerwetter mit vereinzelten Regenschauern und Temperaturen um die 30 Grad erwartet.


Dienstag, 15. Dezember 2009

Dienstag, 15. Dezember 2009

MANAUS

Neun Tage Manaus liegen hinter uns. Gestern Abend kamen wir wohl behalten hier, also, äh, zuhause, d.h. in Campo Grande, an. Es war eine Reise mit sehr gemischten Eindrücken. Das Spektrum reicht von großer Freude über das Wiedersehen mit alten Freunden bis zum Entsetzen über das allgegenwärtige Verkehrschaos und den Verfall von Teilen der Urwaldmetropole.


FREITAG, 4. DEZEMBER 2009


5:30 h Ortszeit. Die Boeing 737 verlässt den Flughafen von Campo Grande und nimmt Kurs auf Brasília. Es folgt ein ereignisloser Flug von eineinhalb Stunden. Ankunft Punkt 8 Uhr Ortszeit. Unterwegs haben wir die Zeitzone gewechselt. Nach drei Stunden geht es weiter nach Manaus, der Hauptstadt des Bundesstaates Amazonas. Flugzeit 2 Stunden und 40 Minuten. Ankunft um 11:40 h. Wir haben wieder die Zeitzone gewechselt. Dieses Mal in die andere Richtung. Hinzu kommt, dass Manaus keine Sommerzeit hat. Würde für eine Stadt in Äquatornähe ja auch wirklich keinen Sinn machen.


Etwa eine halbe Stunde vor der Landung reißt die Wolkendecke auf und gibt den Blick auf ein grünes Meer mit hellbraunen Streifen frei. Die hellbraunen Streifen sind der Rio Solimões, einer der beiden Ströme, die den Amazonas bilden, sowie dessen Zuflüsse. Die braune Farbe ist keine Verunreinigung, sondern rührt von dem im Wasser gelösten Lehm her.


Vereinzelt steigt Rauch auf. Wo Rauch ist, ist Feuer. Und wo Feuer ist, ist bald kein Regenwald mehr. Aber das Ausmaß der Abholzung ist ja schon stark reduziert worden. Sagt die Regierung.


Landung in Manaus. Internationaler Flughafen. Man kann von hier u.a. in gut 5 Stunden direkt nach Miami fliegen. So lange ist man etwa auch nach São Paulo unterwegs.


Ich mag kleine, überschaubare Flughäfen. Vom Flugzeug zum Terminal sind es nur wenige Schritte. Im Terminal angelangt muss man sich nur kurz orientieren, ob die Koffer am linken oder am rechten Gepäckband ankommen werden. Links also. Keine fünf Minuten später haben wir all unsere Siebensachen zusammen und begeben uns Richtung Ausgang, wo auch schon unsere Freunde Elisama und Álvaro mit ihren Kindern uns erwarten. Wiedersehen nach 12 Jahren. Da muss sich für eine Träne nicht schämen.


Am Ausgang des Flughafengebäudes ist es, als ob wir gegen eine unsichtbare Wand aus heißer und feuchter Luft prallen würden. Nun ist Campo Grande ja auch nicht gerade ein Kälteloch. Aber die Hitze hier ist noch einmal von einem anderen Kaliber. Bloß nicht aufregen und das Blut in Wallung bringen. Im Gegenteil, den Metabolismus auf ein Minimum herunterfahren und maximale Entspannung erzeugen.


Manaus ist eine Stadt mit ca. zwei Millionen Einwohnern und längst nicht so entspannt wie Campo Grande. Ein großer Teil der Einwohner lebt in Appartmenthochhäusern, der Sicherheit wegen. Wir haben Glück. Unsere Freunde sind vor kurzem umgezogen und wohnen in einem Haus in einem kleinen Condomínio – mit Schwimmbad.


Am Abend besuchen wir die „Ponta Negra“, die Strandpromenade und Vergnügungsmeile von Manaus. Aufgrund der enormen Breite des Flusses, des Rio Negro, hat man in der Tat den Eindruck, an einem Meeresstrand zu stehen. Wir merken sehr schnell, dass Manaus deutlich teurer ist als Campo Grande. Die naheliegende Erklärung dafür sind natürlich die langen Transportwege vieler Waren und der damit einher gehenden höheren Transportkosten.


SAMSTAG, 5. DEZEMBER 2009


Die erste Nacht mit Klimaanlage liegt hinter uns. Während unsere Gastgeber die hier üblichen 19 Grad als Zieltemperatur wählen, begnügen wir uns mit 25 Grad und ernten dafür wenig Verständnis. Die Klimaanlagen in den Schlafzimmern sind – wenig überraschend – die Hauptverantwortlichkeiten für eine Stromrechnung von ca. 200 Euro – im Monat. Schlafen ohne Klimaanlage ist an diesem Ort jedoch beim besten Willen nicht möglich. Über die zu wählende Temperatur gibt es wie erwähnt jedoch verschiedene Auffassungen.


Am Nachmittag wollen wir das INPA besuchen – das nationale Institut zur Erforschung Amazoniens. Die Fahrt dorthin gerät zur Geduldsprobe. Ein schier endloser Stau – innerhalb der Stadt – ist zu überwinden. Ich erfahre, dass die ganze Stadt im Umbau ist.


Manaus ist einer der Austragungsorte der Fußball-WM 2014, die Brasilien zu gewinnen gedenkt. Und für diesen Mega-Event sollen die Verkehrswege auf Vordermann gebracht werden. Der Stau dient gewissermaßen einem höheren Zweck.


Aus Sicht der Kinder ist die Hauptattraktion des INPA der „peixe-boi“, wörtlich der „Ochsenfisch“, besser bekannt als Seekuh. Eine Art davon lebt im Amazonas. Scheinbar schwerelos gleiten die tonnenschweren Säugetiere durchs Wasser.


SONNTAG, 6. DEZEMBER 2009


Als ich unsere Kinder am Morgen daran erinnere, dass heute Nikolaustag ist, sind sie – angesichts von geschätzten 34 Grad – einen Moment lang verdutzt, besinnen sich jedoch blitzschnell und wollen wissen, wo denn die Geschenke wären. Diese Frage trifft mich nicht unvorbereitet. Als Geschenk gibt es einen zweitägigen Ausflug in den Wald, den tropischen Regenwald („floresta tropical“). Ein ehemaliger Kollege und guter Freund von Oriana überlässt uns großzügiger Weise sein Anwesen („sítio“) gut 100 km nördlich von Manaus, nahe der Kleinstadt „Presidente Figueiredo“.


Die Straße dorthin ist mittlerweile asphaltiert und gut befahrbar. Als Oriana 1995 Manaus verließ, war das noch nicht so. Unterwegs entnehmen wir einem Schild die Information, dass es bis nach Caracas, der Hauptstadt Venezuelas, „nur“ 2.000 km sind. Wir überlegen einen kurzen Moment, verwerfen den Gedanken jedoch schnell wieder.


Dass der Regenwald an verschiedenen Stellen gerade brennt, können wir nicht sehen, jedoch riechen. Ein unverkennbarer Brandgeruch liegt in der Luft. Das Abbrennen des Waldes ist natürlich verboten – den Buchstaben des Gesetzes nach. Die Exekutive des Bundesstaates Amazonas zeichnet sich in diesem Punkt jedoch nicht gerade durch Übereifer aus. Und Kopenhagen ist weit weg.


In einer guten Stunde sind wir am Ziel. Der Besitzer („dono“), Dr. Arnoldo, empfängt uns persönlich. Ein kleiner Fluss durchzieht das Areal von 40 Hektar. Dort steht er knietief im Wasser, mit einem kühlen Getränk in der Hand, mit anderen Gästen plaudernd.


Wir erfahren von ihm, dass in diesem Jahr der Wasserstand besonders niedrig ist. Um diese Jahreszeit herrscht immer Niedrigwasser. Die Schneeschmelze in den Anden, wo die vielen Quellen des Amazonas sich befinden, ist vorbei, die Regenmenge in diesen Monaten ist gering. In diesem Jahr jedoch fallen sowohl das Hochwasser als auch das Niedrigwasser extrem aus. Eine Folge des Klimawandels, so vermutet man, weiß es aber nicht genau.


Immer wieder fliegen große blaue und rote Papageie („araras“) hoch über uns weg. Dr. Arnoldo betrachtet sein Anwesen als „grünes Sparbuch“. Er hat nur einen kleinen Teil „entwaldet“, um eine Veranda, 4 kleine Gästezimmer und einen Pavillon platzieren zu können. Der Rest ist unberührter Wald. Auch erlaubt er nicht, dass Tiere, die sich mitunter zeigen, wie etwa Capivaras („Wasserschweine“) oder große Echsen („lagartas“) getötet werden. Ich bekomme den Eindruck, dass er mit dieser Einstellung nur bedingt mehrheitsfähig ist. Aber das muss ihn nicht weiter bekümmern. Er ist ein erfolgreicher Arzt, hat sich um die Gesundheitsversorgung von Manaus und ganz Amazonien verdient gemacht.


Das Planschen im frischen Flusswasser ist beliebt bei allen Altersklassen. Das Wasser ist klar, jedoch dunkel gefärbt. Wir sind im Einzugsgebiet des schwarzen Flusses, des Rio Negro. Das dunkle Wasser behagt den Moskitos nicht, sie meiden dieses Gebiet. Schön für uns.


Hier, außerhalb der Millionstadt Manaus, ist es klimatisch wesentlich angenehmer. Von „frisch“ zu reden, wäre allerdings übertrieben.


MONTAG, 7. DEZEMBER 2009


Eine bewegte Nacht liegt hinter uns. Dass die Schlafzimmer schlicht gehalten sein würden, wussten wir. Deshalb brachten wir Ventilatoren mit. Allerdings einen zu wenig. Tapfer erklären Marcus und ich uns bereit, zugunsten von Frauen und Kindern auf die kühlende Ventilation zu verzichten.


Mein Sohn schläft problemlos ein. Ich tue kein Auge zu. Irgendwann dusche ich erneut, tausche die Matratze gegen die Hängematte. Doch das Nächtigen in der Hängematte will geübt sein. Im Morgengrauen schließlich ist es kühl genug, um auch im Zimmer zu entschlummern.


Auf dem Rückweg nach Manaus kommen wir an einem Wasser-Spiel-Park („parque aquático“) vorbei. Da die Kinder eindeutig in der Überzahl sind, kehren wir dort ein.


DIENSTAG, 8. DEZEMBER 2009


Feiertag in Manaus: „Maria Empfängnis“ („Nossa Senhora da Conceição“). Wenn man es nicht wüsste – auf den Straßen würde man es nicht bemerken. Alle Geschäfte haben normal geöffnet, lediglich öffentliche Einrichtungen bleiben geschlossen.


Wir sind zum Mittagessen eingeladen bei Orianas Kollegen und ehemaligem Nachbarn Nilson. Seit einigen Jahren wohnt er in einem der nobelsten „Condomínios“ von Manaus. Ein Condomínio ist eine Ansammlung von Häusern in einem umzäunten Areal, mit gesichertem Zugang und Gemeinschaftseinrichtungen wie etwa dem obligatorischen Swimming-Pool.


Jedes Condomínio gibt sich eigene Regeln. Hier etwa gilt die Vorschrift, dass auf den ca. 800 qm großen Grundstücken Häuser mit mindestens 350 qm Wohnfläche mit 2 Stockwerken gebaut werden müssen. Das schränkt den potentiellen Kundenkreis schon mal ordentlich ein.


Nilson ist Gynäkologe, seine Frau Kinderärztin. Das Mittagessen ist reichhaltig, die Arbeitsteilung wie folgt: Der Hausherr kümmert sich um den Grill und das Bier, die Hausangestellte übernimmt den Rest. Klare Verantwortlichkeiten sind eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg in jeder Lebenslage.


Nach dem Mittagessen ist Entspannung am Pool angesagt. Später gibt es Saft aus dem Zuckerrohr aus dem eigenen Garten. Bis zum Genuss des fertigen Produkts ist es ein anstrengender Weg: Das Zuckerrohr in handliche Stücke schneiden, waschen, längs halbieren und schließlich im Schweiße seines Angesichts auspressen. Doch die Mühe lohnt sich, da sind sich alle einig.


MITTWOCH, 9. DEZEMBER 2009


Eine dichte Wolkendecke über der Stadt lässt jeden Moment Regen erwarten. Die Zeitung meldet, dass der stellvertretende Bürgermeister der Stadt („vice-prefeito“) mit einer Anklage wegen Drogenhandels rechnen muss. Man ist skeptisch. Die Großen ließ man in der Vergangenheit ja meistens laufen.


Wir besuchen das feine „Hotel Tropical“, ein Fünf-Sterne-Hotel. Eine Übernachtung im einfachsten Einzelzimmer ist für ca. 250 EUR zu haben, für die Präsidentensuite muss man ca. das Zehnfache hinlegen. Dem Hotel angegliedert ist ein kleiner Tierpark, mit heimischen Tieren wie dem Jaguar („onça“), verschiedenen Affen („macaco“) und Papageien („arara“).


Wir treffen ein älteres Ehepaar aus Heidelberg. Sie sind von Miami aus mit einem Kreuzfahrtschiff den Amazonas hochgefahren. Bestimmt auch ein Erlebnis. Die überwiegende Mehrzahl der Gäste scheinen jedoch US-Amerikaner jenseits der 70 Jahre zu sein, diverse Geh- und Fahrhilfen inklusive.


Nach dem Mittagessen steht Geschäftliches auf dem Programm. Oriana besitzt aus früheren Zeiten noch eine Wohnung hier in der Stadt, die nun veräußert werden soll. Käufer und Verkäufer wollen sich im Büro des Immobilienmaklers treffen. Da die Verkehrssituation der Stadt völlig unberechenbar ist, brechen wir zwei Stunden vorher auf. Wir haben Glück und gelangen weitgehend ohne Stau ans Ziel. Für das Treffen ist noch zu früh.


Oriana und ich nutzen die Gelegenheit, um uns im Zentrum von Manaus etwas umzusehen. Der Spaziergang gerät zur Ernüchterung. Verfallene, ungepflegte Gebäude, unangenehme Gerüche allenthalben, Gehsteige, die zum Stolpern einladen. Das war nicht immer so. Wohin auch immer die Steuereinnahmen fließen mögen – im Zentrum von Manaus kommt offenbar nichts davon an.


Zurück beim Immobilienmakler. Der Name lässt italienische Vorfahren vermuten. In der Tat war es der Großvater, der nach dem zweiten Weltkrieg Italien verließ und nach Brasilien auswanderte. Der Enkel erzählt nicht ohne Stolz, dass er gerade eben die italienische Staatsbürgerschaft – zusätzlich zur brasilianischen natürlich – bekommen hat.


Während im Vorzimmer des Maklers stickige Hitze herrscht, ist das Büro des Chefs auf deutlich unter 20 Grad herabgekühlt. Hier ist klar, wer Koch und wer Kellner ist.


Das Geschäftliche ist schnell geklärt. Der Kaufpreis war vorher bereits abgestimmt. Der Anteil des Maklers, der hierzulande vom Verkäufer zu bezahlen ist, steht auch fest. Lediglich die genaue Abwicklung will im Detail geklärt sein. Da der Verkauf wohl erst nächste Woche über die Bühne gehen wird, übertragen wir unserem hier ansässigen Freund eine Vollmacht. Hierzu müssen wir das Grundbuchamt aufsuchen. Der zuständige Sachbearbeiter erweist sich als sehr kompetent und effizient. Nach wenigen Minuten liegt vor uns ein zweiseitiges Schriftstück, verfasst in einem Amtsportugiesisch, welches mit der Alltagssprache praktisch nichts gemein hat. Ich verlasse mich da ganz auf meine Frau. Ich darf auch unterschreiben.


Am Abend treffen wir Padre Paulo. Padre Paulo ist katholischer Priester und Rechtsanwalt. Das geht hierzulande problemlos zusammen. Und er ist ein alter Freund von Orianas Familie und inzwischen auch von uns. Er begleitete Orianas Vater auf dem Sterbebett, er traute uns hier in Manaus, anno 1995. Vor einigen Jahren trafen wir uns in Lissabon, wo er gerade geschäftlich zu tun hatte und wir auf der Durchreise nach Brasilien waren. Vor zwei Jahren schließlich besuchte er uns in Deutschland, anlässlich der Erstkommunion unserer Tochter. Und heute sehen wir uns wieder.


Padre Paulo leitet eine Gemeinde hier in Manaus und arbeitet in einem – sagen wir mal – Amtsgericht. Früher war er auch noch Professor an einer hiesigen Universität, doch das hat er mittlerweile aufgegeben.


Er lädt uns zum Abendessen ein. Er kennt da ein schönes Restaurant in der Stadt. Zwischen uns und dem Lokal der obligatorische Stau. Nach ca. einer halben Stunde betreten wir ein luftiges Ambiente namens „Roma“, das auf ein gehobenes Preisniveau schließen lässt. Die diversen Speise- und Getränkekarten bestätigen die Vermutung. Bald steht eine schöne Flasche Rotwein aus Portugal auf dem Tisch. Mein erster Rotwein seit fast 5 Monaten. Ein ausgezeichneter Tropfen.


Das Angebot an Speisen lässt keine Wünsche offen: Brasilianische, italienische, portugiesische und japanische Köstlichkeiten.


Im Laufe des Abends erfahre ich, dass in Brasilien viele Eltern die Erziehung ihrer Kinder an Schule und Kirche zu delegieren versuchen. Auch ein Aspekt der Globalisierung? Die gleiche Diskussion kenne ich zur Genüge aus meiner Zeit als Elternvertreter in Deutschland.


Es wird ein kulinarisch reichhaltiger und inspirierender Abend.


DONNERSTAG, 10. DEZEMBER 2009


Noch gestern Abend hat die Polizei zugeschlagen und den „vice-prefeito“ Carlos Souza in seinem Haus verhaftet. Nun ist die Familie wieder vereint. Sein Bruder, Wallace Souza, sitzt nämlich bereits im Knast. Dieser jagte mit seiner Fernsehsendung Verbrecher und zeigte die Tatorte grausamer Morde sowie die zugehörigen Opfer. Nun steht er im Verdacht, mehrere dieser Morde selbst in Auftrag gegeben zu haben – der höheren Einschaltquote wegen.


Wie lange der „vice-prefeito“ dort ausharren muss, wird man sehen. In jedem Fall ist es ein hoffnungsvolles Signal, dass auch die „Großen“ die Wucht des Gesetzes zu spüren bekommen.


Der für heute vorgesehene Ausflug zum „Meeting of the waters“ („Encontro das Águas“) fällt buchstäblich ins Wasser. Heftige Regengüsse. Wenige Kilometer flussabwärts von Manaus vereinigen sich zwei enorme Ströme, der Rio Negro und der Rio Solimões, zum Amazonas. Da beide Flüsse Wasser unterschiedlicher Färbung besitzen, vollzieht sich über viele Kilometer ein atemberaubendes Schauspiel. Nächster Versuch übermorgen.


Wir besuchen stattdessen das „Teatro Amazonas“. Das heutige Wahrzeichen von Manaus wurde im ausgehenden 19. Jahrhundert erbaut, als der „Kautschuk-Boom“ noch intakt war. Wenige Jahre später, und der Bau wäre möglicherweise eine Baustelle geblieben. Der Reichtum der damaligen sog. Kautschuk-Barone trieb seltsame Blüten. So wurde Trinkwasser aus Europa importiert, die Kleider der vornehmen Damen wurden nach Paris zur Reinigung verschifft, Zigarren wurden mit britischen Pfundnoten angezündet. Das alles ist Geschichte.


Der Boom begann mit der Erfindung des Vulkanisierungsverfahrens durch Charles Goodyear im Jahre 1839. Mit diesem Verfahren konnte Kautschuk zu widerstandsfähigem Gummi verarbeitet werden.


In den 1870er Jahren schmuggelten Engländer Samen der Kautschukpflanze in das heutige Sri Lanka, ab Anfang des 20. Jahrhunderts kamen größere Mengen Kautschuks aus Asien auf dem Markt. Das Weltmonopol Brasiliens war gebrochen, der Preis verfiel, der Boom war zu Ende.


Heute steht und fällt die Existenz von Manaus mit der großzügigen steuerlichen Begünstigung von Unternehmen durch die Zentralregierung („zona franca“).


Das Amazonas-Theater steht immer noch und ist – im Gegensatz zu vielen anderen alten Gebäuden – in tadellosem Zustand. Das Baumaterial stammt zum großen Teil aus Europa, wie etwa der Marmor aus Carrara.

Dass Caruso dort gesungen habe, ist eine Legende, auch wenn in Werner Herzogs Film „Fitzcarraldo“ dies zu Beginn so dargestellt wird. Zeitgenössische Tenöre wie José Carreras und Placido Domingo dagegen sind dort bereits aufgetreten.


Außerhalb des Theaters werden wir schnell wieder von der Realität eingeholt. Auf dem Weg zum Hafen müssen wir uns den Weg bahnen zwischen unzähligen Straßenhändlern, die lautstark ihre unwiderstehlichen Angebote anpreisen.


Der Hafen lädt nicht zum Verweilen ein. Der Blick fällt zuerst auf drei große Kreuzfahrtschiffe, dann auf den Müllberg am „Strand“. Hier gibt es nichts weiter zu sehen. Ab nach Hause.


FREITAG, 11. DEZEMBER 2009


Ruhetag. Zumindest für die Kinder und mich. Oriana erledigt einige geschäftliche Dinge. Erst am späten Nachmittag verlassen wir das Haus, um den morgigen Ausflug zu buchen.


Am Abend wollen wir ein Shopping-Center besuchen, das vor kurzem eröffnet wurde, das „Manaura Shopping“. Der Weg dorthin verlangt allen ein großes Maß an Gelassenheit ab. Im Kriechtempo erreichen wir einigermaßen gestresst das Ziel. Das Einkaufszentrum hinterlässt keinen bleibenden Eindruck. Es unterscheidet sich zwar von anderen brasilianischen Einrichtungen dieser Art dadurch, dass im Innenhof ein Stück Regenwald angelegt wurde. Allerdings waren die Zugänge aufgrund schlechten Wetters verschlossen.


SAMSTAG, 12. DEZEMBER 2009


Unser Tag beginnt früh. Heute endlich werden wir das überwältigende Naturschauspiel der Geburt des Amazonas erleben. Die Teilnehmer des Ausflugs treffen sich im Hotel Tropical. Das Schiff mit ca. 150 Sitzplätzen auf 2 Etagen legt pünktlich um 9 Uhr ab.


Die Wolken hängen tief. Mit Regen wird gerechnet. Wir schippern flussabwärts. Nach wenigen Minuten passieren wir die halbfertige Brücke über den Rio Negro, der an dieser Stelle „nur“ 5 km breit ist. Sie wird die erste ihrer Art sein und wahrscheinlich die bislang im Einsatz befindlichen Fähren überflüssig machen.


Unterwegs erfahren wir von unserem Führer („guia“), dass die mit sage und schreibe 24 km breiteste Stelle des Rio Negro sich etwa 50 km flussaufwärts befindet.


Der erwartete Regen manifestiert sich. Da er mit Wind gepaart daherkommt, wird kurzerhand ein Teil der Schutzplane heruntergelassen. Das hält trocken, trübt aber die Sicht.


Nach etwa zwei Stunden zeichnet sich am Südufer ein hellbrauner Streifen aber, der zusehends breiter wird. Bühne frei für ein gigantisches Naturschauspiel. Die lehmfarbenen Wassermassen des Solimões vereinigen sich mit den schwarzen Fluten des Rio Negro. Erst ist die Trennlinie scharf, nach und nach verschwimmen die Konturen. Ein gewaltiges Schauspiel, das auch der Regen nicht trüben kann.


Das Wasser der beiden Flüsse unterscheidet sich nicht nur in der Farbe, sondern auch in Temperatur und Fließgeschwindigkeit. Während das schwarze Wasser des Rio Negro mit 27 bis 28 Grad Badewannentemperatur besitzt und mit gerade mal 2,5 km/h sich dem Atlantik zu bewegt, ist das lehmfarbene Wasser des Rio Solimões mit 21 bis 22 Grad regelrecht frisch und fließt dreimal so schnell.


Ab hier heißt der Fluss – wieder – Amazonas. Ein paar tausend Kilometer weiter westwärts, jenseits der Grenze zu Peru, heißt der Rio Solimões bereits Amazonas. Außerhalb von Brasilien unterscheidet man da nicht so genau. Wenn man von dem Amazonas spricht, so meint man den Gesamt-Amazonas, von der Quelle in den peruanischen Anden bis zur Mündung in Äquatornähe. Ein Dutzend der ca. 10.000 Flüsse, welche in den Amazonas münden, sind länger als der Rhein.


Der Himmel hellt sich auf, wir kehren in einem schwimmenden Restaurant zum Mittagessen ein. Das reichhaltige Buffet bietet verschiedene Flussfische in unterschiedlicher Zubereitung an. Ausgesprochen lecker.


Nach der Mahlzeit erkunden wir ein „Igapó“, ein Gebiet, das bei hohem Wasserstand, also um die Mitte des Jahres, überschwemmt wird. Die üppige Vegetation würde dies auf den ersten Blick nicht vermuten lassen. Auf den zweiten Blick erkennt man den Hochwasserpegel an den Baumrinden. Jetzt ist der Wasserstand niedrig, das Gebiet ist nicht überschwemmt und kann zu Fuß durchschritten werden. Ziel des Spaziergangs ist eine Lagune, in der große Seerosen („vitória régia“) wachsen.


Nach und nach merken wir, dass der Boden so ganz trocken doch nicht ist. Manch einer zieht seine Schuhe aus, um im matschig-weichen Lehm zu laufen.


Auf der Rückfahrt gewinnt die Sonne die Oberhand. Sonne, ein nach wie vor gut gefüllter Bauch, sanfter Wellengang – gerade ideale Zutaten für ein erholsames Nickerchen.


Unser letzter Abend in Manaus. Wir sind erneut zum Abendessen eingeladen – heute bei Álvaro, ebenfalls ein ehemaliger Kollege von Oriana. Natürlich holt er uns ab und bringt uns zu seinem Haus. Er hat es zu was gebracht. In seiner unmittelbaren Nachbarschaft wohnt der Gouverneur des Staates Amazonas. Álvaro wohnt mit seiner Familie in einem sehr großen Haus auf einem 3.000 qm großen Grundstück. Da braucht es schon mehrere Hausangestellte, um das Anwesen in Schuss zu halten. Dieser Lebensstil will natürlich finanziert sein. Ärzte in Manaus arbeiten sehr viel und verdienen sehr gut.


Für diesen Abend hat er zwei weitere Familien von Ärztekollegen eingeladen. Es wird ein kurzweiliger Abend, mit Musik und Gesang, mit chilenischem Rotwein und italienischem Spumante, serviert von einem eigens dafür engagierten Kellner.


Das Condomínio ist eine Insel in dieser schwierigen Stadt. Wer es sich leisten kann, verschanzt sich auf einer solchen Insel und verlässt sie nur in Autos mit getönten Scheiben. Alles hat seinen Preis.


SONNTAG, 13. DEZEMBER 2009


Koffer packen. Abschied nehmen. Dieses Mal sollen keine 12 Jahre bis zum Wiedersehen vergehen. Unsere Freunde wollen uns in Deutschland besuchen. Spätestens 2012.


Fünfeinhalb Stunden Flug liegen vor uns. Mit zwei Zwischenlandungen, bei denen wir jedoch sitzenbleiben können. Fast wie Busfahren. Erste Station ist Porto Velho, Hauptstadt des Bundesstaates Rondônia. Etwa zwei Drittel der Mitreisenden steigen aus, das Flugzeug füllt sich erneut. Es ist Ferienzeit. Der Vorgang wiederholt sich in Cuiabá, Hauptstadt des Bundesstaates Mato Grosso, nicht zu verwechseln mit Mato Grosso do Sul.


Schließlich landen wir in Campo Grande. Auch hier ist der Flughafen international und angenehm klein. Die Frage nach dem richtigen Gepäckband entfällt – es gibt nur eines. Nach gefühlten 3 Minuten sind wir im Besitz unserer Koffer, 20 Minuten später sind wir zuhause. Welche Freude. Die Mangos sind reif.